Dienstag, 26. Juli
Seit langem mal wieder WLAN. Und damit die Möglichkeit, den Blog zu aktualisieren. Ich bin jetzt in Arles-sur-Tech auf einem Campingplatz. Ein letztes Mal alle Wäsche waschen, nochmal Proviant auffüllen und noch einmal die Füße ein wenig ausruhen, deren Blasen einfach nicht weggehen wollen und das Laufen ein wenig schmerzhaft gestalten.
Von hier sind es nur noch 70 Kilometer bis zum Mittelmeer. Meine Tour ist in wenigen Tagen abgeschlossen. Aber ich blende noch einmal fünf Tage zurück.
Donnerstag, 21. Juli
Der Ruhetag hat meinen Füßen definitiv gut getan. Dafür fühlt es sich konditionell gerade so an, als ob ich nicht einen Tag, sondern eine ganze Woche Pause gehabt hätte. Aber wahrscheinlich liegt das daran, dass die Herbergswirtin gestern Abend noch mal so richtig dick aufgetischt hat und ich jetzt erstmal die ganzen Linsen wieder abarbeiten muss. Es gab natürlich nicht nur Linsen. Vielmehr hatten die sich in einer Allianz mit Kartoffeln, Möhren und Würstchen gegen jedweden Kalorienmangel verschworen und wurden dabei flankiert von einem Reissalat als Vorspeise und einem Flan portuguese als Dessert. Wahrscheinlich war das gestern ohnehin der einzige Tag auf dieser Tour, an dem ich mehr Kalorien zu mir genommen als abgebaut habe.
Aber irgendwann sind auch die hartnäckigsten Vortageskalorien verarbeitet, der Körper hat sich auch wieder erinnert, wie das mit dem Gehrhythmus läuft und es wird Zeit für ein zweites Frühstück. Das genehmige ich mir am Refuge de Besinet, allerdings nicht ohne vorher am fantastisch gelegenen Etang de Besinet einige Fotos gemacht zu haben. Spiegelglatt liegt der See da, eingebettet in die Berge, die noch niedrig stehende Sonne spiegelt sich so selbstverständlich darin, als ob das ihr angestammter Platz sei und nicht der Himmel. Hatte ich was gesagt von „an Seen sattsehen“? Vergesst es. Nicht bei dieser Lage. Nicht bei dieser Morgenstimmung.
Auf die Pause an der Hütte folgt eine Pause am Pass. Kurz hinter dem Pass zeigt sich wieder ein See, nur diesmal ohne Boah-Effekt. Der Lac Lanoux ist ein 3 km langer Stausee, allerdings mit ziemlich niedrigem Wasserstand. Dafür zeigt sich darüber der Pic Carlit, mein morgiges Ziel. Etwas langweilig und heiß geht es an dem Stausee entlang, wobei ich auch hier immer wieder Pause mache. Ich habe ja Zeit. Mein heutiges Ziel ist der Étang des Fourats (2457m), ein kleiner See am Fuß des Pic Carlit. Von dort sollte ich Morgen in eineinhalb Stunden auf dem Gipfel sein.
Bald durchquert der Weg ein Plateau mit einem lichten Kiefernwald. Mit den schroffen Bergen drumherum und der Weite der Landschaft erinnert mich das an die Rockies. Ok, der Vergleich mag hinken, ich war schließlich noch nie da.
Gegen zwei ziehen einzelne Wolken auf, die sich bis 15:30 Uhr mehr und mehr verdichten, ohne aber bedrohlich zu werden. Im Gegenteil: zum Gehen sind die Temperaturen deutlich angenehmer.
Am See angekommen suche ich nach einem Zeltplatz, finde zunächst aber keinen. Auf der anderen Seite des Wegs, oberhalb einer kleinen Schwemmebene, steht bereits ein Zelt. Der Ort ist gut gewählt. Und es ist auch noch Platz für mein Zelt. Dario, der Besitzer des anderen Zeltes, will morgen auch auf den „Karli“. Er ist Italiener, lebt in Paris und geht dort auf eine Jonglage-Schule! Die Grundzüge dieser Kunst stellt er auch gleich eindrucksvoll mit drei Steinen beliebiger, also auch unterschiedlicher Größe unter Beweis! Der Abend wird immer kurzweiliger, je länger er wird. Schließlich stellen wir alle Kekse, Trockenfrüchte, Mandeln und Nüsse, Käse, Schokolade und was wir in unserem Gepäck noch so alles zum Essen finden, zu einem großen „Buffet“ zusammen. Die Themenvielfalt wird genauso bunt. Über Zelte, Herr der Ringe, Stretching, THC, Musik und das Erkennen von Stimmungen oder Charakteren in einzelnen Berggestalten mäandrieren unsere Gespräche. Ein Glück, dass keiner von uns einen Rotweinvorrat im Gepäck hat – wer weiß, ob wir dann morgen noch auf den Gipfel kämen!
Freitag, 22. Juli
Der Wetterbericht hat ab 14:00 Uhr Regen angesagt. Ich stelle meinen Wecker auf 6, damit ich um halb acht loskomme. Dann sollte ich um 9 auf dem Gipfel sein und Zeit genug haben, auch problemlos auf der anderen Seite wieder hinunter zu kommen – selbst, wenn der Regen sich nicht ganz an die Vorgaben hält.
Die Nacht war mit 10 Grad (in 2.500 m Höhe) deutlich wärmer als gedacht. Meine Befürchtungen, ich könnte meine bereits nach Hause geschickten warmen Klamotten bibbernd vermissen, haben sich zum Glück nicht bestätigt.
Um 7:20 bin ich unterwegs. Auch Dario, der eigentlich länger schlafen wollte, geht nur wenige Minuten nach mir los. Wie von unten bereits zu sehen war, ist das wieder so ein Pyrenäen-typisch steiler Aufstieg. Meine Schrittlänge übersteigt kaum meine Fußlänge. Um 8:30 Uhr bin ich auf dem Gipfel. Auch sechs Franzosen sind bereits da. Die Aussicht hat sich in etwas Dunst gehüllt, ist aber trotzdem großartig. Auch wenn ich das Mittelmeer nicht sehen kann, lässt sich aber der Canigou immerhin erahnen, der letzte wirklich große Berg Richtung Osten.
Während ich nach einer Stunde absteige, bleibt Dario noch. Unsere Wege trennen sich hier. So steil wie es auf der einen Seite hoch ging, geht es auf der anderen auch wieder runter, nur felsiger, sodass man immer wieder mal die Hände zu Hilfe nehmen muss. Das ist mir aber deutlich angenehmer als dasselbe im Schutt.
Im Abstieg begegnen mir Dutzende von Leuten, die alle auf den Gipfel wollen. „Karli“ scheint sehr beliebt zu sein! Kein Wunder, ist er doch mit seinen 2.921m der höchste Gipfel der östlichen Pyrenäen.
Die Landschaft, die ich auf dem Weg zum Refuge des Bouillouses durchquere, ist bezaubernd. Mehr als ein Dutzend Seen haben frühere Gletscher hier hinterlassen. Nach den gestrigen „Rockies“ glaube ich mich heute nach Schweden versetzt. Ganze Völkerscharen sind an den Seen unterwegs und natürlich muss auch ich an zumindest einem davon eine Pause machen, bevor ich die verbleibende Stunde zum Refuge des Bouillouses weiterlaufe.
Die Beliebtheit der Gegend hat natürlich auch ihre Schattenseiten. Es gibt nicht nur einen Weg, es gibt eine vielzahl von Wegen. Selbst wo mal ein Weg war, ist dieser heute in eine Vielzahl von Varianten breitgetreten.
Ich trinke etwas in der Auberge Carlit (das Refuge wird gerade renoviert), dann erfolgt noch ein rund vierstündiger Abstieg nach Bolquere bzw Eyne. Pünktlich zu 14:00 Uhr zieht es zu, bleibt aber trocken. Der Weg ist nicht anspruchsvoll: ein nahezu steinfreier Fußweg durch eine Heidelandschaft, ein breiter Pfad durch einen Kiefernwald. Dabei kann der Kopf mal wieder abschalten und die Bewegungsmaschine quasi im Autopiloten laufen lassen.
In Bolquere fülle ich mal wieder Proviant auf. Dann müsste ich noch ein paar Kilometer Straße laufen, um nach Eyne zu kommen. Das macht ja sowas von überhaupt keinen Spaß! Also halte ich mal wieder den Daumen raus und eine junge Mutter, die erst noch in einem Nachbardorf ihr Kind aus der Kita holt, bringt mich bis zur Zeltwiese in Eyne.
Ich schließe mich ohne Einschränkungen Christas Wertung an: „die doppelte Sonne im und am See – ein Foto für ein riesiges Poster!“ JA!!
An den Seen kann ich mich nicht satt seen 😉
Wauo, diese Bilder! Fantastisch, traumhaft, eine Märchenlandschaft – vom grünen Tisch aus betrachtet, in deiner Realität natürlich hart zu „erarbeiten“, danke, dass du uns teilnehmen lässt! Das macht mir jedesmal großen Spaß, und ich freue mich auf und über jeden neuen Beitrag, Thomas! Da waren ja echte Höhepunkte bei – die doppelte Sonne im und am See – ein Foto für ein riesiges Poster!