Durch das Great Glen

Samstag, 27.05.23

Grau hängen die Wolken im Glen Nevis. Es nieselt. Wie gut, dass ich gestern schon auf dem Berg war!

Im Regen fahre ich nach Fort William hinein. Gestern war das WiFi auf dem Campingplatz ausgefallen, deshalb suche ich mir ein Cafe, wo ich die Karte für die nächsten Tage herunterlade. Ich glaube nicht, dass ich überall Mobilfunk-Empfang habe. Mein Navi leitet mich zwar, ist aber an manchen Abzweigungen nicht eindeutig. Und dann habe ich die Karte ganz gerne zur Verifizierung. Außerdem buche ich meine Rückfahrt, da ich mittlerweile absehen kann, wann ich in John o’Groats bin. Kostet leider alles Zeit, von der ich gestern Nachmittag mehr gehabt hätte, muss aber sein. So ist es bald 11 Uhr, bis ich Fort William verlasse.

Ein Fahrradladen, der direkt am Weg liegt, versorgt mich noch mit frischer Luft und Ventilkappen und so fahre ich frisch betankt in das Great Glen hinein.

Das Great Glen ist, geologisch besehen, eine gigantische Verschiebungslinie, an der sich die nordwestlichen Highlands an den südlich gelegenen Grampian Mountains entlang geschoben haben. Über 150 km weit! Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, sondern begann vor rund 300 Millionen Jahren. Heute ist das Gebiet im Wesentlichen ruhig, es kommt aber immer wieder zu kleineren Erdbeben bis zur Stärke 4 (Richter-Skala). Seine heutige Form hat das „Große Tal“ durch eiszeitliche Ausformung erhalten. Für die Gletscher war das an der „Schiebefläche“ zerriebene Gestein deutlich leichter zu beseitigen als die ungestörten und festen Massive auf beiden Seiten.

Ein kräftiger Rückenwind treibt mich über den Damm des Caledonian Canal. Auch die Sonne scheint nun, als hätte es niemals Regen gegeben. Links von mir liegt der Kanal und rechts der River Lochy. Tolle Streckenführung! Dann fahre ich am nordöstlichen Ufer das Loch Lochy entlang.

In der Mittagspause muss ich wieder mal das Zelt trocknen, dass ich heute morgen im Nieselregen nur nass einpacken konnte.

Eine Umleitung wegen des Baus eines Wasserkraftwerks beschert mir zusätzliche Höhenmeter, ist aber auch mit einigen Informationstafeln versehen. So erfahre ich z.B, dass Loch Lochy am seiner tiefsten Stelle 162 m tief ist. Wow!

Ärgerlich ist nur, dass ein paar Kilometer weiter der Great Glen Way, dem ich folge, nochmals gesperrt ist. So muss ich wieder ein Stück zurück und auf die A82. Die Autos sind hier gar nicht das Problem, vielmehr einige Motorradfahrer, die mit ihren aufgemotzten Maschinen einen Schalldruck jenseits aller zulässigen Lärmgrenzwerte erzeugen. Das bringt jedes Mal erst meine Trommelfelle und dann meinen Adrenalinspiegel in Wallung.

Nach einigen Kilometern geht es zum Glück wieder an den Kanal, der hier so beschaulich ist, dass ich mich an die junge Donau versetzt glaube.

Die junge Donau? Nein, Caledonian Canal!

In Fort Augustus mache ich eine Kaffeepause. Hier ist die Schleusentreppe so etwas wie ein touristisches Pflichtprogramm auf dem Weg zum Loch Ness. Die Aufregung der Flaneure steigt, als ein Zweimaster in die untere Schleuse einfährt. Und während all dem vertändelt Dortmund die Meisterschaft und lässt den Bayern den Vortritt. Und niemand hier interessiert’s. Die Galleonsfigur der Aphrodite, so heißt der Zweimaster, ist ja auch wirklich attraktiver als die 11. Meisterschaft in Folge.

300 m geht es hinter Ford Augustus steil bergauf, dann bin ich in einer atemberaubenden Landschaft: Highlands at its best! Nun folgt eine lange gerade Straße, die bei Sonnenschein und Rückenwind durch eine herrlich einsame Szenerie führt.

Am kleinen, aber beeindruckend schönen River Foyers, der sich in vielen kleinen Stromschnellen dem Loch Ness entgegen drängt, bevor er bei Foyers in einem Wasserfall hinunter stürzt, fahre ich hinunter nach Foyers, meinem heutigen Ziel. Gerne hätte ich mir den Wasserfall noch angeschaut, aber es ist es spät geworden, da steht mir der Sinn jetzt mehr nach einer heißen Dusche, Abendessen, einem Bier und Ausruhen.

Time:
27.5.2023, 10:15:
Duration:
09:35:44
Ascent/Descent:
1084 m 1068 m
Distance:
82.16 km

Sonntag, 28.05.23

Irgendwie habe ich die halbe Nacht nicht geschlafen. Dabei lag ich bequem, mir war warm, und trotzdem. Kurz vor 6 stehe ich auf. Hell ist es ohnehin schon seit über zwei Stunden. So bin ich um acht schon wieder unterwegs.

Ich fahre auf einer ruhigen Straße am Ostufer des Loch Ness entlang. Zu dieser Uhrzeit ist kaum jemand unterwegs. Außerdem ist der Hauptverkehr ohnehin auf der anderen Seite. Dort, in zwei Kilometern Entfernung, liegt auch Urquhart Castle, das Uta und ich in unserem Schottland Urlaub 2012 besucht haben. Mit dem Tele kann ich es heranzoomen.

Urquhart Castle

Ansonsten wird es - ich bin selber leicht erschüttert - etwas langweilig: kilometerweit erstreckt sich links der See und rechts Wald. Das ist alles. Wenn die Sonne schiene, wäre es vielleicht noch etwas attraktiver, aber die versteckt sich heute morgen hinter einer grauen Decke.

Dann ist Loch Ness zu Ende, das Great Glen weitet sich und es sind noch 12 km bis Inverness.

Inverness

Über die Kessock Bridge fahre ich neben der geschäftigen und dementsprechend lauten A9 über den Fjord, der Inverness vom "hohen Norden" trennt. Hoher Norden klingt irgendwie wild und einsam, ist aber zunächst mal eine zahme, landwirtschaftlich geprägte Landschaft mit teils allerdings industriellen Zügen. Ein Getreidewerk wächst mit riesigen Silos in die Landschaft, neben denen die zugehörige Farm wie ein Modellhäuschen wirkt.

In Dimgwall mache ich Mittagspause. Sofort werde ich von zwei Möwen belagert, die darauf hoffen, dass ich versehentlich, oder besser noch: absichtlich etwas davon abgebe.

Mittagspausen-Begleiter

Ich buche ein Hotel in Alness. Nach der unausgeschlafene Nacht bin ich heute etwas müde. Und die Hoffnung auf eine Nacht mal wieder ohne midges klingt für mich auch gut.

Waschtag im Hotel
Time:
28.5.2023, 09:08:
Duration:
07:43:23
Ascent/Descent:
785 m 750 m
Distance:
74.30 km
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