In den Norden

Montag, 29.05.23

Am Morgen holt mich das Benachrichtigungsgedudel mehrerer WhatsApp Nachrichten aus dem Schlaf. Kein Wunder: es ist mein Geburtstag und in Deutschland ist es schon eine Stunde später als hier. Ich kann mir aber auch wirklich unangenehmere Wecker als liebevolle Geburtstagsglückwünsche vorstellen! Den Kaffee muss ich mir allerdings selber machen. Egal, ich trinke eh Tee!

Nach der Abarbeitung zahlreicher Geburtstagsglückwünsche verlasse ich Alness längs eines Golfplatzes. Golf ist auf dem britischen Inseln ja Volkssport und keineswegs mit so einem elitären Touch versehen wie bei uns. So finden sich Spielmöglichkeiten am laufenden Band.

Lange geht es nun auf einer ganz einsamen Strasse durch Felder und Wälder Richtung Osten. Und das bei Prachtwetter!

Nach 8,5 km fällt mir auf, dass ich wieder mal vergessen habe die Aufzeichnung zu starten. Macht aber nichts, es ging ohnehin fast nur geradeaus, das kann man sich in der Karte unten gut dazu denken und die gesamte Tour kann man sich ohnehin anschauen, wenn man oben auf das P im Kreis klickt. Die Aufzeichnung geschieht unabhängig von der Navi-Aufzeichnung über den GPS Tracker.

Mit leichtem Gefälle fliege ich förmlich nach Tain hinein, wo mir der erste Cappuccino des Tages ein bisschen Grundlage für den gleich anstehenden Distillery-Besuch verschaffen soll.

In Tain selber sitzt die Glenmorangie-Distillery. Ich fahre aber noch acht Kilometer weiter nach Ederton, wo Balblair sitzt, für mich whiskytechnisches Neuland. Und zwei Distillerie-Besuche, wenn ich anschließend noch weiter fahren will, will ich lieber nicht riskieren! 🙂

Hier fahre ich noch vorbei

Mit viel Gegenwind geht es jetzt über die A9 Richtung Norden. Beides nicht schön, Gegenwind und A9 lassen sich aber nicht vermeiden. Von der A9 bin ich nach zwei Kilometern wieder runter. Der Wind bleibt vorerst.

Schon auf der Zufahrt zur wunderbar ländlich gelegenen Balblair-Distillery in Ederton weht mir der leicht säuerliche Geruch nach Maische entgegen. Die Atmosphäre auf dem Besuchs- und Produktionsgelände wirkt herrlich entspannt. Rummel ist woanders. Im Besuchs- und Verkaufsraum darf ich drei Whiskies probieren: 12, 15 und 16 Jahre alt. Die Mengen sind zum Glück so überschaubar, dass ich danach bedenkenlos weiterfahren kann. Sehr floral, die Balblairs. Dem 15 jährigen merkt man dazu das Sherry-Fass an, in dem er nachgereift ist, was ihn um einige Spuren komplexer macht als die anderen beiden. Nicht ganz mein Geschmack, aber definitiv ein guter Whisky und wesentlich harmonischer als die Arrans von neulich.

So, jetzt aber weiter. Es sind noch 54 km bis zu meinem heutigen Tagesziel, dem Crask Inn. Am Moray Firth entlang, dem mit 120 Kilometer längsten Firth Großbritanniens fahre ich nach Lairg, der letzten Möglichkeit für die nächsten zwei Tage, Proviant aufzufüllen. Viel fehlt mir nicht: ein bisschen Brot und Aufschnitt und etwas frisches Obst. Das sollte reichen, den Rest habe ich noch.

Einen Fotostopp lege ich an den falls of shin ein, wo im Spätsommer die lachse springen.

Falls of shin

Die letzten 20 km des Tages ab Lairg verlaufen über eine einspurige Strasse, „single track road“ genannt, die alle 100 m über sog. „passing places“ verfügt. Das heißt für mich immer vorauszuschauen, ob mir jemand entgegenkommt und in den Rückspiegel gucken, ob ich jemanden vorbei lassen muss. Aber hier kommen nicht viele.

Was für eine Weite hier oben! Moore die erstaunlich trocken aussehen, einzelne Bäume und Aufforstungen, im Hintergrund hohe Berge.

Im „Crask Inn“, einer herlich abgelegenen Herberge, verbringe ich dann meinen Geburtstagsabend bei einem leckeren Dinner und netter Gesellschaft (die Hälfte davon Radfahrer). Britannien-untypisch sitzen alle neun Dinner-Gäste an einem gemeinsamen Tisch. Das kenne ich eigentlich nur von den Gites d’Etappe in den französischen Pyrenäen. Aber es schafft direkt Nähe und Kommunikation! Zur Feier des Tages gönne ich mir zum Abschluss des Abends auch noch einen Whisky!

Time:
29.5.2023, 10:48:
Duration:
08:28:31
Ascent/Descent:
712 m 579 m
Distance:
77.98 km

Dienstag, 30.05.23

und morgens wieder: Zelt abbauen und packen

Weit bin ich noch nicht gekommen, genau 13 Kilometer, als ich im Altnaharra Hotel eine erste Kaffeepause einlegen will. Dafür habe ich schon etliche Foto- und Filmstopps eingelegt. Zu faszinierend ist diese weite schottische Hochebene mit ihren schier endlos erscheinenden, flach geneigten Gras- und Moorflächen, nur gelegentlich unterbrochen von kleinen Bächen und Seen. Beim "will" bleibt es in Bezug auf den Kaffee dann auch, da die Bar noch nicht geöffnet hat und das Hotel aktuell ausschließlich mit dem Check-Out der Gäste beschäftigt ist.

Hinter Altnahara fahre ich am wunderschönen Loch Naver vorbei. Wollte man Schottland auf wenige hochdosierte Essenzen reduzieren: das hier wäre eine!

Loch Naver

Während ich das Langdale hinaus und der Küste entgegenfahre, verflacht sich die Landschaft und mir kommt ein kräftiger Nordwind entgegen. Gleichzeitig gefällt sich die Straße darin, mal wieder Wellen zu schlagen.

ist auf jeden Fall mal was anderes als Weiß!

Irgendwann sehe ich am Ende des Tales graublau das Meer schimmern. Oder ist es nur Dunst? Aber dann erreiche ich die A836, die Straße, die die Nordküste entlang führt. Und in Bettyhill sehe ich dann wirklich das Meer: nicht graublau sondern in dunklem Türkis bildet es einen wunderbaren Kontrast zum gelb blühenden Ginster und den hell beigefarbenen Stränden, die sich in den Buchten der felsigen Küste zu verstecken suchen.

In Bettyhill bekomme ich dann endlich auch meinen lang ersehnten Cappuccino. Und verdient habe ich mir den sowieso! Warum wohl heißt Bettyhill Betty"hill"?

Die Straße dreht nach Osten und nimmt damit dem Wind an Schärfe. Aufgrund der Küstenform nimmt allerdings auch das Auf und Ab wieder zu.

Eigentlich wollte ich mir ja heute einen Strand zum Zelten suchen, aber als diese Campsite direkt am Weg liegt, kann ich einfach nicht widerstehen. Der Preis von 18 Pfund ist zwar der höchste, den ich auf dieser Reise auf einem Campingplatz bezahlt habe, aber die heiße Dusche nach einem wieder von kaltem Wind geprägten Tag lässt alle Bedenken in wohliger Wärme zerfließen.

Time:
30.5.2023, 10:11:
Duration:
08:34:54
Ascent/Descent:
1101 m 1071 m
Distance:
74.58 km
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Viktor
10 Monate zuvor

Toll, dass du an der Nordküste Glück mit dem Wetter hast. Herrliche Farben, sehr schöne Bilder!