Die ersten richtigen Berge – von Iraty nach Lescun

Mi, 8.9.

Ein paar Stunden Pause und viel Dehnen haben immerhin soviel gebracht, dass ich heute doch den Pic d’Orhy angehen will. Die Gewitter sind abgesagt, aber ab 12 soll es regnen, sagt der Wetterbericht. Also muss ich vorher auf dem Gipfel gewesen sein. Bis dorthin braucht man angeblich vier Stunden. So geht mein Wecker um 6 Uhr.

Um 7 stehe ich vor der Tür. Es dämmert schon ganz leicht, sodass ich die Stirnlampe bereits nicht mehr brauche. Die Schafe, die ich im ersten Anstieg treffe, sind noch unentschlossen, ob sie vor dem Menschen schon weglaufen oder lieber noch ein bisschen dösen sollen.

Und dann gibt es beim Blick zurück plötzlich fantastische Morgenstimmungen, mit den Wolken im Tal unter der gerade aufgehenden Sonne. Ja, das kostet Zeit, aber ohne stehen zu bleiben und Fotos zu machen, kann ich hier einfach nicht weg. Dasselbe gilt dann nochmal, als plötzlich die Geier aus dem Tal hochschiessen und über mir kreisen. Im Morgenlicht! Und auch am Grat zum Zazpigagn, einem Vorgipfel des Pic d’Orhy, fliegen sie wieder, die morgendliche Thermik nutzend, an mir vorbei, ohne sich durch meine Anwesenheit in ihrem Revier stören zu lassen. (Und damit ich Euch nicht immer wieder mit ähnlichen Bilder langweile, gibt es weiter unten dann eine reine „Geier-Galerie“)

Trotzdem schaffe ich es, nach langem Anstieg und einem teilweise sehr ausgesetzten und windigen Grat um 11 Uhr auf dem Gipfel zu sein. Hier sind auch schon einige Andere, Basken offenbar, die mit der baskischen Fahne Gipfelfotos machen. Auch ich darf (muss? :-)) mit der Fahne posieren. Das Wetter ist immer noch so gut, das ich eine halbe Stunde oben bleibe.

Schnell geht es hinunter zum Col de Larrau, der Radsportfans wahrscheinlich mehr sagt als mir bisher. Hier lege ich mich eine halbe Stunde ins Gras und beobachte zur Abwechslung mal einen Milan, von denen es hier auch etliche gibt, bevor ich bei zunehmenden Wolken zur Cabane d’Ardane weiterlaufen. Regen oder Gewitter? Weiter Fehlanzeige.

Die Cabane ist eine einfache, unbewirtschaftete Hütte, ähnlich einer schottischen Bothy, aber recht sauber. Ums Wasser muss ich mich aber erst einmal kümmern: Es gibt zwar eine Quelle, aber die liegt genauso im Schafsgebiet wie die Hütte selber. Ich filtere es lieber!

Die Cabane d’Ardane im Schafsgebiet

Irgendwann ist alles erledigt, was zu erledigen ist und ich lege mich in den Schlafsack. Ist zwar noch früh, aber was soll’s? Da geht die Tür der Hütte auf und wer kommt rein? Emiel und die beiden anderen Belgier, Brüder übrigens, deren Namen ich nicht weiß. So sieht man sich wieder!

Do, 9.9.

Am Morgen ist die Hütte in leichte Morgennebel gehüllt, aber das Wetter könnte schlechter sein! Emiel, der im Gegensatz zu mir ein wenig 3G-Empfang hat, stellt fest, das es ab heute Nachmittag gewittern soll. Also kann ich mir doch nicht ganz so viel Zeit bis zum Refugio Belagua lassen, wo ich übernachten will. Mit gut vier Stunden ist das eine eher kurze Etappe, aber auf Gewitter in den Bergen habe ich nun mal auch keinen Bock!

Wir gehen getrennt los, ich gehe doch lieber mein eigenes Tempo, insbesondere mit der gereizten Achillessehne. Zunächst gilt es, wieder den Grenzkamm zu erreichen, was bei Nebel, sich langsam durchsetzender Sonne und der Begleitung durch halbwilde Pferde durchaus Spaß macht.

Dann geht es auf einen Höhenweg, der trotz Wolken und kaltem Wind wirklich schön ist. Das sind halt endlich richtige Berge! Und auf einmal sind sie wieder da, die Geier! Immer wieder faszinieren mich ihre schiere Größe und die Eleganz ihres Fluges. Ob ich mich da jemals satt sehen kann?

Erst sehe ich sie nur über mir, etliche Dutzend! Dann merke ich, dass viele zu einen bestimmten Punkt fliegen. Offenbar haben sie dort Aas gefunden, weshalb sie sich in Unmengen dort einfinden und sich um die Mahlzeit streiten. Übrigens sind es Gänsegeier, keine Bartgeier, wie ich erst dachte. Ich gehe immer näher heran, mache endlos Fotos und filme. Nach Gewitter sieht es ohnehin nicht aus und Regen auf dem letzten Wegstück ist mir jetzt auch egal. Und hier kommt dann auch die Geier-Galerie:

Irgendwann reiße ich mich dann doch los und gehe eine halbe Stunde lang weiter, bis kurz die Sonne hervor kommt, sodass ich mich mal wieder ins Gras lege, in den Himmel gucke und den Geiern beim Kreisen zuschaue. Natürlich komme ich am Schluss doch noch in den Regen, aber das war’s allemal Wert!

Und dann habe ich ganz viel Zeit, meine Ferse zu pflegen. Zum Glück habe ich kurz vor Abfahrt noch den Blackroll-Ball eingepackt, mit dem ich Fußsohle und Wadenansatz bearbeite. Ans Abbrechen denke ich im Moment jedenfalls nicht mehr!

Später kommen auch Emiel und die Brüder wieder herein. Wegen des Regens wollen sie auch nicht weitergehen, aber am Refugio zelten. So sitzen wir bis zum Abendessen zusammen und unterhalten uns über, naja typische „thruhiker“-Themen halt: Basisgewicht, Zelt vs. Tarp, Trekking- vs. Trailrunning-Schuhe, das Gewicht von Kamera- oder Drohnenausrüstung, Essen auf Tour, etc., etc.

Fr, 10.9.

Refugio Belagua am Morgen

Das Abendessen hatte vier Gänge und wurde um 20 Uhr serviert. Trotzdem war um 22 Uhr, eine Stunde nach dem letzten Gang, bereits Hüttenruhe. Den Berghütten-Usus der frühen Hüttenruhe mit der spanischen Gewohnheit eines späten Abendessens zu verbinden, ist keine gute Idee. Jedenfalls habe ich noch lange wach gelegen, weil mein Magen mit Verdauen beschäftigt war.

Und wieder waren für den Nachmittag wahlweise Regen oder Gewitter angesagt. Also stehe ich zum frühestmöglichen Früstücks-Zeitpunkt auf und bin um 8 unterwegs. Nach 20 Minuten treffe ich die Belgier, die nicht weit entfernt campiert hatten und ebenfalls schon unterwegs sind.

Der Weg führt uns heute in eine Landschaft, die kontrastreicher zur gestrigen kaum sein könnte. Wir tauchen bald ein in einen Buchenwald, der in ein Karstgebiet übergeht, in dem später Kiefern die Buchen verdrängen. Schließlich geht die Vegetation fast ganz zurück und die Landschaft weitet sich, je höher wir kommen. Traumhafte Landschaft, aber durch ein ständiges Auf und Ab auch anstrengend zu gehen.

So ganz nebenbei entdeckt Emiel auch noch den ersten Feuersalamander der Tour und die erste Pyrenäen-Gämse. Und als wir uns gerade darüber unterhalten, dass wir noch keine Murmeltiere gehört oder gesehen hätten, pfeift eins. Na also, geht doch!

Als die drei dann an der Source de Marmitou eine längere Mittagspause einlegen, bei der sie auch kochen, während ich mir nur ein paar Datteln, Mandeln, Kekse und Schokolade „reinziehe“, steige ich schon mal alleine ab Richtung Lescun.

Mit mittlerweile wieder schmerzender rechter Ferse, zu der sich jetzt auch die linke in einem unnötigen Anfall von Solidarität hinzu gesellt, mache ich am Ende eines steilen Waldabstiegs und am Fuß eines kleinen Wasserfalls nochmal eine Pause, ziehe Schuhe und Socken aus und kühle die Füße im Wasser. Ich bin 5 km vor Lescun, der erste Abschnitt der Tour, 150 km, also ein Fünftel der Strecke ist bereits geschafft! Eigentlich sollte das Grund genug für Hochgefühle sein; stattdessen macht sich die Erkenntnis breit, dass es so nicht weitergeht. Die Beschwerden nehmen eher wieder zu, nicht ab! Was ist da falsch gelaufen?

Lescun

Im Vorfeld der Tour habe ich überlegt, ob ich mit den bei meinen Alpentouren bewährten Trekkingstiefeln oder, wie viele andere hier, mit leichten „Trailrunnern“ laufen soll. Im Hinblick auf „alpines Gelände“ in den Hohen Pyrenäen habe ich mich für die Trekkingschuhe entschieden – und dabei die Hitze, aber auch die vielen Asphalt-, Beton- und „dirtroad“-Stecken des Baskenlandes (wie wohl auch des mediterranen Pyrenäenbereichs) unterschätzt. Jedenfalls sind die Schuhe zu hart, zu ungedämpft, zu hoch, zu steif und zu warm für das bisherige Gelände. Und das bekommen meine Füße nicht mehr kompensiert.

Bei einem Telefonat mit meiner tollen Frau spricht sie sich am Abend vehement dagegen aus, das ich jetzt aufgebe und die lange Vorbereitung in den Wind schreibe. Stattdessen wird sie mir jetzt meine Trailrunners per Expresspaket schicken, ich mache ein paar Tage Pause in Lescun, bei denen sich auch meine Füße wieder regenerieren können und dann geht’s hoffentlich lediglich mit ein paar Tagen Verspätung weiter!

Während ich Probleme mit meinen Füßen habe, hat Emiel übrigens welche mit seinen Schuhen: bei seinem Paar dieser superbequemen (derzeit aber auch super gehypten) Marke zerlegt sich gerade (nach nur neun Tagen Gebrauch) die Sohle in ihre Bestandteile – ein Phänomen, das auch Caroline Ludwig schon in ihrem Blog beschrieben und ursprünglich mit einem Foto belegt hatte – witzigerweise ist letzteres mittlerweile entfernt! Emiel wird morgen jedenfalls versuchen, in Oloron neue Schuhe (einer anderen Marke) zu kaufen, so kann er immerhin am Sonntag schon weitergehen.

Bestimmt bequem, aber für dieses Terrain offensichtlich ungeeignet!

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Hans
Hans
3 Jahre zuvor

Lieber Tom, du hast meine absolute Hochachtung ob dieser Strapazen und ich wünsche dir von Herzen, dass du mit den anderen Schuhen einigermaßen schmerzreduziert dein Ziel erreichst. Deine fantastischen Aufnahmen (besonders die der Geier) und anschaulichen Berichte erfreuen mich sehr. Mach weiter so und toi toi toi für die letzten 80% der Strecke!
Liebe Grüße aus Röttgen

Christa Reppel
Christa Reppel
3 Jahre zuvor

Hallo, lieber Thomas, na, spannender und interessanter, als du geschrieben hast geht es kaum. Ich war fasziniert, auch von den Karstformationen sowie von Schafen, Nebeln, Geiern und…last not least … von deinen Erlebnissen. Toll, dass deine tolle Frau dir jetzt in der Schuhnot hilft, dann wird es sicher stracks weitergehen, alles ganz schön anstrengend!!! Chapeau !!! Gute Auszeit mit netten Erlebnissen und blitzartiger Ankunft des wichtigen Pakets!

Viktor
3 Jahre zuvor

Tolle Landschaften, tolle Fotos (wie immer). Besonders die Geier-Galerie ist phantastisch – an dir ist ein Tierfilmer verloren gegangen. VG, Viktor

Leo Engel
Leo Engel
3 Jahre zuvor

Tommi, ein Super-Bericht, der beste bisher. Und ich drücke Dir alle Daumen und was-sonst-noch, dass es mit dem Expresspaket klappt und Du weiter laufen kannst. Grüße aus den Stubaiern, Leo