Ferry ‚cross the Mersey

Montag, 15.05.23

Nachdem ich mich herzlich von Jack verabschiedet habe, verlasse ich Chester.
Gestern Abend haben wir uns noch eine Dokumentation über Heinz Stücke angeschaut, einen mittlerweile 80jährigen Westfalen, der über 50 Jahre lang mit seinem Rad die Welt bereist hat. Mit einem 3-Gang-Rad, schwerer Ausrüstung, Navigation mit grobmaßstäblichen Karten und Kommunikation in Briefform mit bis zu vier Wochen Laufzeit. Damit verglichen ist das, was ich hier mache, Kinderkram: leichtes Rad, 11-Gangschaltung mit 525% Übersetzungsspektrum, leichte Ausrüstung, GPS-Navigation, nahezu jederzeitige Kommunikationsmöglichkeit über Mobilfunk und Internet! Ich wäre nie ein Heinz Stücke gewesen. Hut ab vor diesem Mann!

Jack und ich

Nachdem ich gleich wieder mehrere dieser unsäglichen Drängelgitter passiert habe, inklusive Gepäck ab- und wieder aufladen, komme ich auf einen Deich, dem ich sieben Kilometer lang folge und das bedeutet: ich bin voll dem Wind ausgesetzt, der heute mal wieder kräftig erst von der Seite und dann mehr und mehr von vorne kommt.

Zunächst durch ein Industriegebiet, dann über Grünflächen und schließlich durch Sumpfgebiete und die Salzwiesen der Burton Marsh stemme ich mich dem Wind auf superglatten Radwegen nach Neston entgegen. Nach einer guten Stunde bin ich an „Net’s Café“, wo ich eine Pause mache. Und das wird auch die Taktik des Tages werden: eine Pause etwa alle Stunde, damit ich mich bei dem Wind nicht zu sehr verausgabe.

Burton Marsh

Und dann muss die „ferry ‚cross the Mersey“ kommen, deren Vorläufer Garry and the Pacemakers 1965 besungen haben. In Birkenhead angekommen, sieht allerdings alles ziemlich tot aus. Ich irre auf der Suche nach einem Lebenszeichen umher, bis mir jemand sagt, dass hier momentan nichts fährt. Na toll! Und jetzt? Ich sehe auf meinen Online-Karten keinen anderen, Fahrrad-fähigen Übergang. Schließlich rufe ich Mersey Ferries an, wo man mir mitteilt, dass Birkenhead gerade renoviert wird, aber in Seacombe immerhin noch eine Fähre fährt, 1,5 km entfernt. Na, wenigstens etwas!

In Liverpool angekommen ist die Beatles Statue immer noch nicht zugänglich (der ESC zieht weiterhin lange Schatten hinter sich her). Immerhin kann ich heute wenigstens von Weitem einen Blick auf die vier Jungs werfen .

Nach einigen Kilometern bin ich aus der Stadt heraus und wieder im Grünen. Und dann fahre ich auch mal wieder auf einem schmalen Weg einen schmalen Kanal entlang. Hier ist es der Leeds & Liverpool Canal.

Unterwegs am Leeds & Liverpool Canal

West-Lancashire: so platt wie Norddeutschland, also quasi keine Steigung. Allerdings hat auch der Wind freie Bahn. Und so nähere ich mich Southport mit einem Tempo, das man als durchaus gemütlich bezeichnen könnte, wenn es nicht trotzdem anstrengend wäre. Die letzten Kilometer sind dann laut, weil entlang einer stark befahrenen Straße. Ich bin froh, als ich die hinter mir lasse und meine heutigen warmshowers-Gastgeber Joan und Martin aufsuche.

Nanach einem anstrengenden Tag in Windjacke und Handschuhen gehe ich früh zu Bett und schlafe wie ein Baby.

Time:
15.5.2023, 09:55:
Duration:
09:06:34
Ascent/Descent:
620 m 627 m
Distance:
89.41 km

Dienstag, 16.05.23

Eigentlich ist es doch ganz einfach: mein Navi soll mich auf kürzestem Wege zu meiner Route zurückführen, die westlich von hier nach Norden verläuft. Aber das Teil versteht unter "zum nächsten Punkt zurück zur Strecke" offenbar etwas anderes als ich. Bis die Sonne herauskommt und mein Schatten mir zeigt, dass ich nach Süden fahre habe ich schon 3 km in die falsche Richtung hinter mir.

Zweiter Fehler des Tages: ich habe vergessen, meine Wasserflasche aufzufüllen! Aber da sollte sich ja bald eine Gelegenheit ergeben. Außerdem habe ich heute morgen schon zwei Becher Tee getrunken, das hält erstmal vor und für alle Fälle habe ich auch noch einen Apfel von Jack im Gepäck.

Die (momentan nicht zugängliche) Seebrücke von Southport

Als ich aus Southport heraus bin, fahre ich Kilometer weit die Küste entlang, die hier als solche gar nicht zu erkennen ist, da sie aus weiten Salzmarschen besteht, die erst in weiter Entfernung ins Meer übergehen. Der Wind kommt von links und ist dementsprechend einigermaßen erträglich. Schließlich schwenkt die Straße in weiten Bogen nach rechts, sodass der Wind mehr und mehr von hinten kommt. Ich fliege förmlich dahin!

Und wieder Salzmarschen

In Banks kann ich meine Wasserflasche auffüllen und trinke einen Kaffee.

Gute Idee!

West-Lancashire bleibt seinem flachen Landschaftscharakter treu: Wiesen, Äcker, Hecken und vereinzelte Weiler bei insgesamt hoher Traktoren-Dichte. Sonst tut sich nicht viel, außer dass meine Nase vom kühlen Wind ständig läuft.

Dann fahre ich einige Kilometer parallel zur stark befahrenen A59 nach Preston hinein. Hier mache ich eine ausgedehnte und sonnige Mittagspause im Miller Park.

Hätte ich doch bloß nichts gesagt von wegen West Lancashire ist flach. Schon aus Preston heraus geht es einige Male auf und ab und das bis zu 10% Steigung, definitiv mein Limit. Das geht noch so gerade mit dem beladenen Rad, aber biotte keinen Prozentpunkt mehr! Auch auf den nachfolgenden Kilometer muss ich noch etliches an Steigungen absolvieren.

In Calgate entschließe ich mich, nicht mehr meinem Track zu folgen sondern die direkte Route über die A6 nach Lancaster zu nehmen. Das ist zwar nicht so spaßig, weil: viel Verkehr, erspart mir aber einige Kilometer und führt mich außerdem noch an einem Supermarkt vorbei. Einkaufen muss ich schließlich auch noch. Von Lancaster kriege ich nicht viel mit, mir reicht's für heute. Auch auf Fotopausen habe ich keinen Bock mehr, außer die Motive liegen direkt am Weg.

Die Milleniumsbrücke in Lancaster

Schließlich erreiche ich Morecambe, wo ich heute in einem TravelLodge übernachte. Hier darf sogar mein Rad mit aufs Zimmer!

Das Rad darf auch mal im Zimmer schlafen!
Time:
16.5.2023, 10:12:
Duration:
09:32:09
Ascent/Descent:
830 m 818 m
Distance:
102.30 km
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