Im Lake District

Mi, 17.05.23

Heute morgen bin ich ein bisschen tatterig und komme nicht so recht in die Gänge. Wahrscheinlich stecken mir die 100 km von gestern noch in den Knochen. Aber vielleicht ist es auch nur der viele schwarze Tee, den ich bereits getrunken habe. Jedenfalls geht es schon auf 10 zu, bis ich das Haus verlasse. Gut, dass es heute nur 73 km bis zur Great Langdale Campsite sind, von wo aus ich morgen auf den Scafell Pike steigen will.

Kaum bin ich losgefahren, halte ich auch schon wieder an. Morecambe hat eine wirklich schöne Küstenlinie und Promenade. Hier kann ich nicht einfach vorbeifahren, ohne ein paar Fotos gemacht zu haben.

Nach sechs Kilometern komme ich wieder mal an einen Kanal, den Lancaster Canal, und wieder umfängt mich nur Vogelgezwitscher und der würzig-knoflige Duft des blühenden Bärlauchs. Die sind schon ganz schön idyllisch, diese kleinen Kanäle. Je länger ich daran entlang fahre, desto mehr entwickelt sich dieser Lancaster Canal zu einem richtigen Kleinod: rechts der Kanal mit seinen vereinzelten Booten, links Ausblick aufs Meer und die dahinterliegenden Berge. Toll!

Und auch das Wetter spielt mit: die Sonne packt ihr schönstes Licht aus und ich kann mal wieder ohne Handschuhe und Windjacke radeln. Vor lauter Begeisterung merke ich nicht, wie mich der Kanal langsam aber sicher von meinem Track entfernt. Als ich es schließlich bemerke, ist es natürlich für nichts wirklich zu spät und zur Belohnung für diesen herrlichen Umweg gönne ich mir einen Cappuccino im Cafe Edelweiss in Carnforth. Und das heißt wirklich so!

Die Straße verläuft in Wellen, während ich die Grenze zu Cumbria überfahre. Dabei ist die Dünung mal länger, mal kürzer, die Steigungen aber nie wirklich unangenehm. Und dann riecht die Luft salzig. Ich bin in Sandside, wo sich der River Kent in einem breiten Ästuar mit dem Meer verbindet.

Blick auf den River Kent bei Sandside

Nach einer Mittagspause in Kendal geht es hinein in den eigentlichen Lake District. Die Steigungen häufen sich und immer wieder kommen mir Rennradler entgegen, die die Straßen als willkommenes Trainingsgelände nutzen, aber natürlich fahren alle ohne Gepäck.

In Staveley mit einer Cola gedopt, schaffe ich auch die nächsten Steigungen. Die ganze Zeit geht es mehr rauf als runter, jedoch sind die Steigungen nie so lang, dass es allzu kräftezehrend wird. Auf der Höhe angekommen, verschlägt es mir trotzdem fast den Atem. Der Blick öffnet sich in die Bergwelt des Lake District. Irgendwo da hinten liegt auch der Scafell Pike, den ich morgen besteigen will. Dann führen mich kleine Straßen steil hinunter nach Troutbeck Bridge, wo zwischen den Bäumen bereits der Lake Windermere aufblitzt.

Heute Mittag holte vor Kendal ein Rennradfahrer auf und wir fuhren ein paar Kilometer gemeinsam, während wir uns unterhielten. Kurz hinter Ambleside kam er mir wieder entgegen und war offenbar auf seiner Rückrunde. Schon von Weitem grüßte er mich. Offenbar sind Tourenradler hier tatsächlich nicht sehr häufig, sodass er mich gleich wiedererkannte.

Den Abschluss des Tages bildet das Great Langdale, ein traumhaftes Tal, in dessen hinteren Ende der Zeltplatz des National Trust liegt. Weiträumige Zeltwiesen, super saubere Sanitärräume, dazu noch ein auf 39° C geheizter Trockenraum und alles in wunderschöner Lage. Ich krieche mit dem Gefühl in den Schlafsack, den bisher schönsten Tag der Tour erlebt zu haben.

Time:
17.5.2023, 10:52:
Duration:
07:45:47
Ascent/Descent:
1008 m 903 m
Distance:
77.33 km

Do, 18.05.23 - Scafell Pike

Um 4 Uhr werden die Vögel wach und beginnen, die Welt zu begrüßen. Die Zwitscherer sind ja noch ok. Die erzeugen einen Klangteppich, bei dem ich auch wieder einschlafen würde. Aber heisere Fasane, zeternde Elstern, kehlige Spechte und rufende Tauben reißen mich immer wieder aus dem Dämmerzustand. Aber irgendwie schaffe ich es dann doch, bis 7 Uhr stückweise weiter zu schlafen. Nächste Nacht lege ich das Ohropax bereit, ich sag's euch!

Kilometerweit zieht sich der Weg ins Great Langdale hinein. Ausser mir gibt's hier nur Schafe. Auf dem Anstieg zum Stake Pass überholt mich dann doch ein Paar und weiter oben sehe ich einen einzelnen Wanderer. Aha, die Menschendichte nimmt zu. Nach oben hin wird es kälter: der Wind zieht jetzt vom Tal hoch, Zeit für die Handschuhe.

Breite Wege, unterbrochen von Blockfeldern, zeigen den Weg zum Scafell Pike. Man sieht den Gipfel allerdings erst eine halbe Stunde, bevor man ihn erreicht. Ein paar Mal geht es noch runter und wieder rauf, ein letzter steiler Anstieg, dann verflacht der Weg wieder und ich bin oben. Und nicht allein. Viele Wanderer sind bereits da und immer wieder kommen neue hinzu. Viele Wege führen auf den höchsten Berg Englands, der vom Great Langdale aus ist der längste.

Und so habe ich auch den längsten Abstieg vor mir, auf dem mir immer noch Leute entgegen kommen. Viele übrigens in kurzen Hosen und T-Shirt. Dagegen bin ich mit meiner langen Hose und Windjacke ein echtes Weichei.

Abstiegsblick ins Great Langdale

Nach insgesamt acht Stunden, 20 Kilometern Strecke und rund 1.000 Höhenmetern bin ich um 16:00 wieder am Zeltplatz. Damit ist der zweite der "three summits" abgehakt und ich falle so bald wie möglich und ziemlich tot in den Schlafsack.

Fr, 19.05.23

Diese Nacht schlafe ich viel besser. Erst nach 8 Uhr stehe ich auf, weil es im Zelt zu warm wird: Die Sonne scheint. Bis ich endlich loskomme, wird es dann auch 10:15 Uhr.

Morgens am Zeltplatz

Und dann verfahre ich mich erst einmal ganz fürchterlich. Mein Navi habe ich wohl im entscheidenden Moment überhört. Anschließend macht es mir Vorschläge, die mich mehr verwirren als zu einer Lösung führen. Ein Blick in die Onlinekarte würde jetzt echt helfen, aber in diesem entlegenen Tal habe ich keinen Mobilfunkempfang. Schließlich entscheide ich mich mehr oder weniger nach Himmels Richtung zu fahren. Mal schauen wo ich ankomme. Und tatsächlich vermeldet mein Navi irgendwann wieder "Ankunft an der Tour".

In Grasmere trinke ich einen Kaffee. Direkt am See. Und das kostet! Der Blick ist offenbar mit eingepreist. Aber der Lake District ist wohl ohnehin eine der teuersten Gegenden Britanniens, erklärt mir kurz drauf ein anderer Radfahrer, den ich vor dem Coop treffe, wo ich mir ein paar Schokoriegel kaufe.

Eine weitere Pause mache ich in Threlkeld. Hier bin ich schon fast raus aus dem Lake District, der schönsten Landschaft, durch die ich auf dieser Reise bisher gekommen bin. Die vegetationsarmen Höhen erinnern an die schottischen Highlands, wobei die Täler durch die in Wälder eingebetteten großen Seen lieblicher wirken.

Wellig bleibt das Gelände auch in den nördlichen Ausläufern des Lake District noch. Aber als ich denke, dass ich es eigentlich schon hinter mir habe, kommt dann doch noch einmal diese eine bissige Steigung, bei der ich tatsächlich absteigen muss. Das erste Mal seit Devon!

Mein Track führt mich jetzt über wunderbar verkehrsarme Straßen, die landschaftlich total schön gelegen sind. Ein großes Lob an travel.cycle, das ich als Planungstool benutzt habe!

Die letzten Kilometer nach Carlisle hinein bringt mich ein schmaler Asphaltweg, schön gelegt durch die Augen eines kleinen Flusses. Eigentlich. Denn plötzlich ist er gesperrt. Und ich muss einen Kilometer zurückfahren, um dann auf die Hauptstraße auszuweichen, die mich dann tatsächlich in die Stadt, zu einem Aldi und einem einfachen B&B führt.

Time:
19.5.2023, 11:21:
Duration:
08:47:04
Ascent/Descent:
1188 m 1262 m
Distance:
80.59 km
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4 Kommentare
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Viktor
11 Monate zuvor

Cumbria – in solchen Landschaften entstehen Märchen und Mythen. Wunderschön!

Angelika
Angelika
11 Monate zuvor

Hallo Thomas, habe durch deine Schilderung wieder viel über England gelernt. Der Lake District ist wirklich malerisch und wär so ganz nach meinem Geschmack, die Fotos wieder ein Genuss. Weiterhin trockenes Wetter und eine schöne Tour.