Nach Tagen mal wieder ein Beitrag. Dass ich nichts von mir habe hören lassen, liegt nicht daran, dass wir nichts erlebt hätten, sondern ist einfach dem Umstand geschuldet, dass wir drei Nächte auf Hütten verbracht haben, die um diese Zeit nicht mehr bewirtschaftet sind. Immerhin hat es Winterräume, sodass wir ein Dach über dem Kopf und eine Matratze unter dem Schlafsack hatten. Strom, Mobilfunknetz oder gar WLAN gibt es dann natürlich nicht oder je nach Höhenlage und Entfernung vom nächsten Tal nur sehr eingeschränkt (Mobilfunk). Und damit ist auch ein Bloggen nicht möglich.
Jetzt aber der Reihe nach.
Sonntag, 2. Oktober
Kurz nach dem Start sind wir bereits am Passo Pellegrino, den wir überschreiten, um dann in einer Mischung aus Skipisten und Lärchenwäldern zu einer Hochebene aufzusteigen. Von hier können wir auf unseren gestrigen Abstieg zurück blicken, auch Antelao, Pelmo und Civetta zeigen sich in voller Pracht.
Am Passo Valles, wo wir eigentlich nur für einen Cappuccino einkehren wollen, geraten wir in ein Oktoberfest: alle Männer mir Lederhose und kariertem Hemd, die „Madln“ im Dirndl. Dazu entsprechende Musik, übrigens nicht nur bayerische, auch z.B. „Leev Marie“ wird gespielt. Sieht irgendwie nach Karneval aus. Hört sich auch so an. Ein Wurstsalat und ein (kleines) Festbier später sind wir wieder unterwegs.
Wir nähern uns der Pala-Gruppe von Norden. Immer höher ragen ihre Gipfel hinauf, je weiter wir kommen. Nach einer windgeschützten Pause biegen wir in die steilen Ostabstürze der Cima Mulaz ein. Unser Weg soll uns über einen Bach führen, an dem wir einen Wasservorrat mitnehmen wollen, da an der nicht mehr bewirtschafteten Hütte kein Wasser zu erwarten ist.
An der in der Karte eingezeichneten Stelle ist aber alles trocken. Auch ein Stück den Berg hinauf ist nichts zu sehen und kein Plätschern zu hören. Was nun? Ein bisschen Wasser haben wir noch in unseren Trinkflaschen. Das würde zur Not bis morgen früh reichen. Wenn wir gar nichts finden, können wir dann immer noch absteigen. Wir lassen es drauf ankommen und gehen weiter.
Wir begegnen einem jungen Mann, der bestätigt, das es an der Hütte kein Wasser gibt, nur Schnee. Schnee schmelzen wäre eine Option, ist aber ziemlich energieintensiv, dafür haben wir nicht genug Gas dabei. Wir laufen weiter und finden einen Schmelzwassertümpel. Zwar nicht sehr tief, aber mit Geduld bekommen wir rund vier Liter zusammen. Na also!
Der Winterraum ist kalt, aber mit Matratzen und Decken ausgestattet. Wir richten uns ein, kochen, genießen erst den Sonnenuntergang und dann den Whisky, den Leo mitgebracht hat.
Montag, 3. Oktober
Es ist so angenehm warm im Schlafsack. Ich mag gar nicht aufstehen. Als ich in der Nacht einmal raus musste, war das einzig Schöne der von keinem Fremdlicht gestörte Sternenhimmel mit der Milchstraße. Das Hütten-Thermometer zeigt -4 Grad, mein Rucksack-Thermometer im Winterraum +7. Das entspricht zwar nicht ganz der gefühlten Wirklichkeit, ist aber wesentlich angenehmer als draußen.
Der erste Pass des Tages, die Forcella Margherita ist von der Hütte aus schon zu sehen. Die liegt, wie auch der Weg dahin, im Schnee. Der ist immerhin griffig und eine Spur gibt es auch schon. So bringen wir die erste halbe Stunde einigermaßen zügig hinter uns. Leider geht es dahinter im Schnee weiter, damit hatten wir eigentlich nicht gerechnet. Nach einer Querung gibt es einen weiteren Anstieg, diesmal auf den Passo della Farangole. Steil ist er und wir bemerken, dass die Spur, der wir noch folgen können, hin, aber auch wieder zurück geht. Mmh, heißt das nun, dass derjenige sowieso nur bis zum Pass wollte oder dass er nicht hinüber kam und umkehren musste (und wir dann auch umkehren müssen)?
Nach einem steilen Schneehang folgt ein versicherter Aufstieg im Fels – natürlich auch verschneit. Nicht ohne, aber machbar. Als wir am Pass sind, beeindruckt der Blick auf die andere Seite oder besser gesagt auf den jenseitigen Abstieg durch eine steile, tief verschneite Rinne. Aber bange machen gilt nicht, das müssen wir uns erst noch von Nahem anschauen. Und siehe da: an der linken Schluchtwand liegen nicht nur wieder Drahtseilsicherungen, das Gelände sieht auch weniger steil und durchaus machbar aus. Also wagen wir es – und es geht. Zwar langsam, aber es geht!
Weiter unten wird das Gelände flacher, der Schnee nimmt ab und wir beginnen eine lange und teilweise ausgesetzte Querung gegenüber dem Altipiano delle Pala, einer ausgedehnten Karst-Hochebene. Immer wieder ist auch hier das Gelände so abschüssig, dass einige Stellen mit Drahtseilen versichert sind: auflockernd oder herausfordernd, je nachdem.
Herausfordernd ist aber auch die Wassersituation. In unseren Trinkflaschen ist fast Ebbe und die wenigen Bäche, die es gibt, sind ausgetrocknet. Zur Sicherheit füllen wir ein wenig Schnee ab, den wir vorher zusammendrücken, damit die Luft raus ist und der Schee schneller schmilzt.
Langsam wird uns klar, dass wir die Tour so spät im Jahr gar nicht hätten machen können, wenn es keinen Neuschnee gegeben hätte. Diese Karst- Landschaft ist einfach zu trocken.
Einen Kilometer vor der Rosetta-Hütte entdeckt Leo ein kleines Wasserloch, an dem ich schon vorbei gelaufen war. Wir füllen unsere Flaschen und die beiden Platypus-Säcke auf, sodass das Wasser für Abendessen, Frühstück und morgen tagsüber reichen wird. Mit rund vier Kilo Mehrgewicht (jeder) erreichen wir die Hütte.
Überraschung: es sind bereits Andere da! Fünf Tschechen haben sich mit Bierdosen, Salami, ja, und auch Rucksäcken und Schlafsäcken bereits eingerichtet und wollen morgen auf die Cima della Vezzana steigen. Als Zeichen der Völkerverständigung (oder einfach, weil sie nett sind?) bieten sie uns von ihrem Marillenbrand an. Im Gegenzug helfen wir ihnen, einen kaputten Schuh zu flicken.
Dienstag, 4. Oktober
Die meisten Bierdosen wurden gestern abend noch geleert. Die Nacht verging mit vielfältigen akustischen und olfaktorischen Eindrücken.
Wir stehen vor den anderen auf und sind auch früher unterwegs. Über einen gut ausgebauten ehemaligen Militärweg mit geringem Gefälle steigen wir ab, bis der Weg zur Pradidali-Hütte den Talabstieg verlãsst. Wir umrunden die Pala di San Martino und biegen ein in das Val di Roda. Eine phantastische Landschaft! Die Felswände stehen hier so nah beieinander und die Gipfel sind so hoch, dass selbst das Weitwinkel Schwierigkeiten hat, alles zu erfassen.
Das Wetter ist nicht ganz so schön wie gestern. Eine hohe Bewölkung lässt die Sonne kaum durch. Der Weg zum Rifugio geht zum Teil über eine Via Ferrata, einen Klettersteig, aber einen von der leichten Sorte, die wir auch ohne Zusatz-Ausrüstung bewältigen können.
Nach einer Pause steigen wir vom Refugio Pradidali durch eine öde Fels- und Steinwüste, deren lebensfeindlicher Eindruck nur von zwei auffliegenden Schneehühnern aufgelockert wird. Dann geht es in leichter Kletterei, teils wieder als Klettersteig hinauf zum Passo delle Lede. Allerdings nimmt auch der Schnee wieder zu und ohne Sicherungen geht es weiter durch steiles Gelände mit zunehmendem, meist verharschtem Schnee und teilweiser Vereisung. So richtig wohl fühle ich mich hier nicht. Wir sind zwar nur noch hundert Meter unter dem Pass, aber wir beschließen umzukehren.
Leo ist nicht übermäßig traurig. Sein Resümee der letzten Tage: „Es war eine übermäßige Dosis an wüstenartigem grauen Dolomit, Gebirgen ohne Wasser, mit anstrengender Kletterei und flutschigen Schnee- und Eiseinlagen. Jetzt reicht’s.“
Ich denke, wir haben unsere Möglichkeiten ausgereizt, überreizen wollen wir sie lieber nicht. Schnee und Eis waren ja bei dieser Tour auch eigentlich gar nicht eingeplant.
Wir steigen wieder zur Pradidali-Hütte ab, füllen unseren Wasservorrat am kaum noch vorhandenen „malerischen Lago Pradidali“ (Wanderführer-Zitat) auf und richten uns ein für eine letzte Winterraum-Übernachtung.
Die phantastischen Bildeindrücke haben das Warten auf diesen Beitrag lohnend gemacht. Harte Tour mit traumhaften Eindrücken. Hoffentlich konntet ihr es vor Ort genauso genießen, wie die Leser.
Hi Viktor, vielen Dank für Deine Begleitung – immer wieder gerne! Und ja, wir konnten die Tour trotz mancher Überraschungen und unvorhergesehener Begleitumstände genießen. Und ich freue mich immer, wenn mir Fotos gelingen, die auch meine virtuellen Begleiter mitnehmen!
Hallo in die harte und erlebnisreiche Steinwüste! Gerade habe ich mit Bernd deine Fotos angeschaut: Da lief es mir teilweise eiskalt den Rücken runter, weil eure Tour mir äußerst gefährlich erscheint. Allerdings werdet ihr mit wunderbaren Stimmungsbildern verwöhnt, aber damit hört das Verwöhntwerden auch schon auf. Vernünftig, dass ihr an der vereisten Steilstrecke zurückgegangen seid – wir haben nur ein Leben! Ihr beide seid echt harte Gesellen, dass ihr Kälte, Wassermangel, Schlepperei, Rutscherei und Klettersteige usw in Kauf genommen habt. Ein urechtes Abenteuer – das macht euch keiner so schnell nach! Einen guten Abschluss bei weiterhin gutem Wetter wünsche ich… Weiterlesen »
Vielen Dank für Deine mitfühlenden Worte, liebe Christa, aber sei gewiss, dass wir unsere Leben nicht aufs Spiel setzen! Wie gesagt: wie haben unsere Grenzen ausgereizt, aber nicht überreizt. Wir sind halt auch Meister der dramaturgischen Fotografie 😊