Mittwoch, 24. Juli
Aus Weißensee heraus umfängt mich direkt ländliche Ruhe. Die Reifen rollen über feuchte Schotterwege, vorbei an Mais und Weizenfeldern, an Ackerrandstreifen voller Sonnenblumen, vorbei an Grünland und kleinen Wäldern. Es ist noch etwas frisch an diesem Morgen aber das ist mir alle(mal lieber als die drückende Schwüle der letzten Tage.
Doch schon nach vier Kilometern beschließe ich, diese Idylle zu beenden und auf eine asphaltträchtige Variante auszuweichen. Der Rollwiderstand im feuchten Kies ist doch recht hoch und dementsprechend anstrengend. Damit werde ich auch nicht den Illertalradweg fahren, wie ich ursprünglich überlegt hatte, denn der hat hauptsächlich diese Form der Wegoberfläche.
Die nächsten vier Kilometer absolviere ich deutlich zügiger und weniger anstrengend. Und auch auf dieser Variante fahre ich meistens abseits der Straßen. Auf den gemähten Wiesen beidseits des Weges suchen Störche nach der Art von Futter, das heute zu spät aufgestanden ist, um den Tag zu überleben.
In den kleinen Dörfern, durch die ich komme, finden sich bereits die für das Allgäu typischen Lüftlmalereien – mit Bildern und häufig Sinnsprüchen bemalte Hausfassaden. Hier scheint auch der Traktor das Hauptverkehrsmittel zu sein. Natürlich gibt es auch PKWs, aber die stehen ausnahmslos auf Parkplätzen oder am Straßenrand herum.
In Osterberg halte ich kurz, als gerade ein paar Frauen vor dem Gemeindeamt einen Tisch aufbauen und darauf eine Thermoskanne Kaffee, Geschirr und Gebäck platzieren. Wir kommen ins Gespräch. Einmal in der Woche veranstalten sie hier eine Art Gemeindetreff. Jeder und jede darf sich dazu gesellen und gegen eine Spende (geht altes an die Gemeinde) mit essen und trinken. Und jede Woche heißt jede Woche! Auch im Winter! Dann findet das Treffen eben im und nicht vorm Gemeindeamt statt.
Auch wenn ich ja nun nicht den Illertalradweg fahre: Die Route, die mir cycle.travel hier herausgesucht hat, geht wunderbar von Dorf zu Dorf und dazwischen über befestigte Wirtschaftswege abseits der Straßen. Und das Ganze ist so abgelegen, dass ich nicht nur immer wieder. Bussarde und Milane, Hasen und Störche sehe, sondern plötzlich auch ein Fuchs vor mir den Weg kreuzt und ganz erschreckt flüchtet, als er mich sieht.
Und am Ende vieler ruhiger Wege öffnet sich auf einmal ein kleines Tor und ich bin in Memmingen. Memmingen nennt sich „Das Tor zum Allgäu“. Damit steht es nicht allein. Je nachdem, aus welcher Richtung man kommt, gibt es ein anderes „Tor zum Allgäu“. Aber sei es drum.
Memmingen bewirbt seine Altstadt mit dem Attribut historisch, auch wenn seit den 1970er Jahren viele historische Bausubstanz vernichtet und durch modernere Gebäude ersetzt wurde. Immerhin sieht der Markt noch recht original aus. Beeindruckend ist auch das Rathaus.
Und was auf jeden Fall sehr pittoresk anzusehen ist, sind die kleinen Gässchen am Stadtbach mit ihren Cafés und Restaurants.
Ich besuche auch die (heute protestantische) Stadtpfarrkirche St. Martin, eine der ältesten Kirchen Oberschwabens mit ihrem über 500 Jahre alten, spätgotischen Chorgestühl. Die Goll-Orgel von 1998 gilt dagegen als einer der bedeutendsten Orgeln der Neuzeit.
Von den vielen Regenfällen der letzten Tage, die insbesondere hier im Süden niedergegangen sind, steht überall noch Wasser auf den Wiesen, in den Fahrspuren auf den Äckern, in den Randstreifen neben der Straße und auch in manchen Unterführungen. Aber mit langsam fahren und Füße hochheben komme ich auch hier unbeschadet durch.
Auf der Höhe von Altusried kommt hinter einer Kuppe auf einmal die Bergkette des Allgäus in Sicht, die sich den ganzen Vormittag noch in Dunst und Wolken versteckt hatte. Dominant schiebt sich vor allem der Grünten bei Burgberg ins Bild.
Bei Krugzell überquere ich dann die Iller und sehe: auch die führt reichlich Wasser.
Einen kurzen Kaffee- und Einkaufstopp mache ich noch in Kempten und dann fährt mich mein Rad auf einen kleinen, bäuerlichen Campingplatz, bei dem die freilaufenden Hühner mir sehr interessiert beim Kochen zuschauen und nur durch Androhung sanfter Gewalt vom Probieren abzuhalten sind.
Vielleicht wollten die Hühner ja IN den Kochtopf?
Sie haben alles versucht, mir beim Essen zu helfen, allerdings ohne Tendenz zur passiven Variante 😉
Man kann von den Bayern ja halten, was man will – aber landschaftlich haben sie auf jeden Fall eine ganze Menge zu bieten 😉
Yep!