Romantiker am Main

Freitag, 19. Juli

Als ich Bad Neustadt um 8:30 Uhr verlasse, lasse ich auch den Berufsverkehr schnell hinter mir und finde mich auf den Saalewiesen wieder, auf denen ein Storch Ausschau nach seinem Frühstück hält. Wie ich dann so mehr oder weniger neben der B287 (zum Glück mehr weniger als mehr) nach Münnerstadt fahre, knallt die Sonne doch auch um 9 Uhr schon ganz ordentlich. Das wird wohl noch ein heißer Tag werden!

In Münnerstadt springt mir das „Heimatspielhaus“ in den Blick, ein Fachwerkhaus aus dem 15. Jhd. Die beiden Türmchen über dem Torbogen mit der Mutter Gottes kammen allerings erst 1927 als bildliche Darstellung des Stadtwappens hinzu, nachdem das Haus als Kulisse eines Heimatspiels ausgewählt wurde. Und damit hatte das Haus seinen Namen weg: Heimatspielhaus.

Das Heimatspielhaus in Münnerstadt

Hinter Münnerstadt geht es auf genauso ruhigen wie asphaltierten Wegen durch Feld, Wald und Wiesen. Ich muss höchstens mal einem Mähdrescher ausweichen, mehr Verkehr ist nicht. In diesem, heute abgeschiedenen Rannunger Tal war bis 1786 reger Betrieb. Hier führte die Straße von Bad Neustadt nach Schweinfurt durch, sodass viele Reisende den Ort zur Rast nutzten. Da die Straße außerdem Teil eines Pilgerwegs war, bot es sich an, diesen durch eine Wallfahrtskirche aufzupolieren. Die heutige barocke Wallfahrtskirche, die bereits Vorläufer bis in heidnische Zeitalter hatte, wurde 1716 eingeweiht und stellt auch aktuell eine Station des fränkischen Marienwegs dar.

Die Thalkirche im Rannunger Tal bei Münningstadt

Schweinfurt: Der Name, ursprünglich „Suuinfurtero“, heißt wohl nicht, dass man hier Schweine durch den Main trieb, obwohl das auch nicht so weit hergeholt ist. Vermutlich bedeutete er „seichte Furt“, was aber im Zeitalter der Autobrücken ohnehin keine Rolle mehr spielt. Das Schweinfurter Alte Rathaus zählt jedenfalls zu den wichtigsten Renaissancebauten Süddeutschlands. Erbaut 1570-72 überstand es selbst den Zweiten Weltkrieg.

Das Alte Rathaus in Schweinfurt

Ich statte dem Museum Georg Schäfer einen Kurzbesuch ab. Es beherbergt vornehmlich Kunstwerke der Romantik, generell aber des 19. Jhd. Hier gibt es die weltweit größte Spitzweg-Ausstellung und auch Caspar David Friedrich ist vertreten, genauso wie Johan Christian Clausen Dahl, ein enger Freud Friedrichs, der eine Zeitlang im selben Haus wohnte.

Ein Ausflug ins Industriegebiet bringt mich zu SRAM, einem Fahrradkomponentenhersteller. Warum? Schweinfurt gilt als die Geburtsstadt des Fahrrads. Hier wurden das Tretkurbel-Fahrrad, der Freilauf und die Rücktrittbremse erfunden. Beispiel namhafter Firmen aus Schweinfurt sind Fichtel und Sachs (Torpedo 3-Gangs-Nabe), Winora oder eben SRAM. Auch World Bicycle Relief hat hier seine Europa-Geschäftsstelle. WBR ist ein gemeinnütziges Unternehmen, dass extrem robuste Fahrräder produziert (die Gepäckträger können z.B. Laten von 100 kg aufnehmen) und diese spendenfinanziert in verschiedene Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens ausliefert. Damit werden z.B. für Mädchen Schulwege verkürzt und damit Bildungschancen erhöht. (s. a. auf meinen Seiten unter „und…„)

SRAM-Firmensitz

In Schweinfurt gelang ich dann auch an den nächsten Fluss meiner Reise, den Main. Hier fahre ich auch auf dem Eurovelo 4, den Uta und ich 2016 und 2017 von der Bretagne bis nach Bonn gefahren sind. Er führt dann noch weiter bis nach Kiew, eine Fahrt, die momentan weniger empfehlenswert ist, solange Putin seine imperialistischen und menschenverachtenden Gelüste nicht in den Griff kriegt.

Als ich aus Schweinfurt wieder rausfahre, ist selbst der Fahrtwind brühwarm. Das Thermometer zeigt 30 Grad im Schatten. In Grafenrheinfeld finde ich eine schattige Bank auf einem Spielplatz. Hier halte ich erstmal Mittagsrast.

Auf der Weiterfahrt spüre ich auf einmal einen heftigen und sehr schmerzhaften Stich im Ringfinger. Da hat mich wohl eine Wespe angeflogen, hat mal eben zugestochen und ist gleich weiter. Jedenfalls ist kein Insekt mehr zu sehen, aber es brennt wie Hölle! Blödes Vieh! Ich halte direkt an, nehme eine Cetirizin, um die Reaktion zu dämpfen und auch noch meinen Ring ab (falls es zu sehr anschwillt) – mehr kann ich im Moment nicht machen.

Hier im Maintal ändert sich auch die landwirtschaftliche Nutzung: neben Getreide, Zuckerrüben, Mais und Kürbissen stehen nun auch Weinberge neben der Straße.

In Wipfeld geht es dann mit der Fähre über den Main. Die hat natürlich gerade Pause und es heißt 20 Minuten warten. Immerhin gibt’s einen Eisautomaten, der mir die Wartezeit vertreibt.

Auf der linken Mainseite fahre ich zwar immer noch neben einer Straße her, aber wesentlich ruhiger als auf der anderen Seite.

In Volkach finde ich eine Apotheke und eine Salbe für den gestochenen Finger. Kurz hinter Volkach verfahre ich mich mal wieder. Eigentlich. Denn ein Blick auf die Karte zeigt, dass ich genau genommen einer Abkürzung folge, die an einem Mainkanal entlang führt statt einem großen Mäander zu folgen. Das spart fast 7 Kilometer und ist dabei herrlich entspannend zu fahren!

In Dettelbach steht mit dem Café Kehl die ältesten Konditorei Frankens. Hier gibt es auch die Dettelbacher Muskatzinen, ein vom ortsansässigen Zuckerbäcker Urban Degen im 19. Jhd. erfundenes Gebäck, das nach einem alten Rezept nur in Dettelbach hergestellt werden darf. Geschmack: intensiv gewürzt mit Muskat (ja klar bei dem Namen!), aber wohl auch Zimt, Zitronat und Orangeat, also ein bisschen weihnachtlich. Trotzdem wird behauptet, dass sie eine köstliche Beigabe zum Frankenwein seien.

Apropos Frankenwein: heute Abend gehe ich ausnahmsweise mal Essen und zwar ins Gasthaus Hirschen. Der Name ist Programm, denke ich mir, und so gibt es ein Wildgulasch mit Rotkohl und Klößen. Dazu einen Frankenwein (Sylvaner). Wildgulasch und Klöße sind prima! Rotkohl und Wein allerdings für meinen Geschmack reichlich „trocken“. Als Rheinländer mag ich beides gerne etwas weniger „drüsch“. Der Wein würde zu Hause schlicht als „suure Dröppe“ durchgehen. Puh, darf man das als Schlusssatz so stehen lassen? Vielleicht hätte ich einfach einen hochwertigeren Wein bestellen sollen und nicht den „Hausschoppen“.

Und hier noch ein paar Eindrücke aus Dettelbach:

Time:
19.7.2024, 08:38:
Duration:
09:00:13
Ascent/Descent:
723 m 487 m
Distance:
91.45 km
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Viktor
9 Monate zuvor

Ist so schön vielseitig, unser Land 🙂