Sieben auf einen Streich

Der Klassiker im Siebengebirge führt über alle sieben Gipfel, wobei es natürlich noch einige mehr gibt als diejenigen, die man je nach Blickrichtung (z. B. vom Kölner Dom aus) sieht und die zu seiner Namensgebung führten. Das erste Mal, dass ich diese Tour unternommen habe, war in den 1970er-Jahren mit der Jungmannschaft der Kölner Sektion des Deutschen Alpenvereins – im Winter.

Petersberg

Das ehemalige Bundes-Gästehaus und heutige Hotel auf dem Petersberg

Heute morgen ist zwar kein Winter, aber kalt ist es dennoch, weshalb ich froh bin, die Daunenjacke anzuhaben, als ich bei Königswinter den Petersberger Bittweg hochgehe, um den ersten der sieben, den Petersberg, anzugehen. Das Rauschen der B42 zieht hinter mir den Hang hoch, während vor mir die Herbstsonne durch den hier unten noch erstaunlich grünen Wald strahlt. Immer wieder passiere ich Wegekreuze und Prozessionsaltäre – der Petersberger Bittweg ist der einzig erhaltene von ursprünglich vier Prozessionswegen, die vom Mittelalter an Pilger zur Wallfahrtskapelle auf den Petersberg führten. Bis auf einen anderen Wanderer treffe ich niemanden.

Das Rauschen des Verkehrs nimmt ab, Vogelgezwitscher und Herbstfärbung zu, als ich das Plateau erreiche, auf dem die Einzäunung mit Überwachungskameras noch an die Jahre zwischen 1990 und 2007 erinnert, als das heutige Steigenberger-Hotel noch als Bundes-Gästehaus fungierte, in dem nahezu alle Staatsgäste übernachteten. Ob die wohl wussten, dass der Petersberg schon vor 5.500 Jahren besiedelt war? Oder dass hier von 1889 bis 1958 eine Zahnradbahn hinaufführte, wie heute noch auf den Drachenfels? Heute lockt vor allem die Aussicht auf Rhein und Drachenfels viele Gäste zum Brunch oder Dinner auf die Terrasse des Hotels – zumindest, wenn nicht gerade Corona ist.

Nonnenstromberg

Ein Stück weit laufe ich den Weg wieder hinunter, den ich herauf gekommen bin, um dann links in den Wald abzubiegen und von einem weiten Joch, in dem die Sonne eine kleine Wiese leuchten lässt, über einen schmalen Weg auf den Nonnenstromberg zu steigen, den ich unter den sieben Gipfel am meisten mag. Ich kann gar nicht sagen, ob das an dem schmalen Weg liegt, dem langgezogenen Gipfelrücken, der kleinen Aussichtsbank an seinem östlichen Ende oder einfach daran, dass sich nicht ganz so viele Leute hierhin verirren. Ich mag ihn halt! Dass hier mal Nonnen gehaust haben sollen, gehört wohl ins Reich der Sagen. Dass der nebenan liegende Petersberg mal Stromberg hieß, allerdings nicht. Vielleicht erklärt das irgendwie den Namen, wenn mir auch nicht klar ist, wie. Das ist wohl ein Fall für die Sprachhistoriker.

Ölberg

Nun geht es hinunter zum Einkehrhäuschen, das früher auf ein Bier nach dem Klettern am Stenzelberg beliebt war – als man da noch klettern durfte. Erstaunlicherweise hat es trotz der verschärften Corona-Maßnahmen geöffnet, wenn auch nur im „to go“-Betrieb. An mir können sie heute aber nichts verdienen, da ich gerade ein zweites Frühstück auf dem Nonnenstromberg hatte. Ein langgezogener, breiter Waldweg führt hinüber zum Ölberg. Um den gleichförmigen Weg etwas aufzulockern, mache ich noch einen Abstecher zur Rosenau, auf der auch einmal eine Burg stand, die vermutlich mit dazu gedacht war, die Südflanke des Kölner Erzstifts zu schützen – jedenfalls verlängerte sie die Burgenreihe Rolandseck, Godesburg, Drachenfels und Wolkenburg nach Osten. 1250 wurde sie allerdings schon wieder abgerissen, nachdem sie vom Kloster Heisterbach erworben worden war und die Ordensregeln keine räumliche Nähe von Burgen und Klöstern erlaubte. Außerdem konnte man die Steine gut für die Fertigstellung der Klosteranlage gebrauchen!

Beim Anstieg zum Ölberg denke ich mal wieder darüber nach, wie sich Sprache verändert. Der Ölberg ist dafür ein gutes Beispiel, hieß er doch ursprünglich mal Mohlberg. Zu dieser Zeit benutzte man im Schriftdeutschen allerdings zur Dehnung eines Vokals noch ein „e“ statt eines „h“, geschrieben wurde der Mohlberg also „Moelberg“. Wenn man zum Berg lief, ging man „zum Moelberg“, was sich anhörte wie „zummohlberg“. Trennte man das Gehörte wieder auf, hätte es auch „zum Ohlberg“ heißen können, verschriftlicht dann „zum Oelberg“ (die Leute, die Sprache aufzeichneten, waren selten diejenigen, die sie vor Ort sprachen). In einer weiteren Vereinfachung wurde dann aus dem Oelberg der Ölberg, ohne dass hier je nach Öl gebohrt oder Oliven geerntet worden wären!

Der Ölberg ist übrigens mit seinen 460,7 m u. NN der höchste Berg des Siebengebirges, weshalb er auch „Großer Ölberg“ heißt. Jedenfalls ist die Aussicht über die anderen sechs bis zum Rhein schon besonders! Und natürlich bin ich hier nicht der Einzige, der sie genießt.

Lohrberg

Meine geplante Mittagspause verschiebe ich wegen der vielen Menschen lieber noch. Also erst einmal runter zur Margarethenhöhe, an der die Straße, die das Siebengebirge zwischen Königswinter und der A3 durchschneidet, kulminiert. Mehrere Parkplätze zeugen von der Beliebtheit als Ausgangspunkt für Ausflüge. Genauso mehrere Restaurants, die aber ebenso auf „takeaway“ umstellen mussten, wenn sie nicht gleich ganz geschlossen haben.

Schnell verschwinde ich auf der anderen Seite wieder im Wald, lasse einen Kahlschlag hinter mir, der wahrscheinlich der Trockenheit und dem nachfolgenden Borkenkäfer geschuldet ist und laufe auf den Lohrberg. Offiziell gibt es hier herauf keinen Wanderweg, zu verfehlen ist er aber auch nicht, wenn man weiß, wo man suchen muss. Jedenfalls habe ich den Lohrberg und meine Mittagsrast für mich alleine und werde dabei nur von diversen Vögeln unterhalten. Erst als ich gerade wieder absteige, kommt mir jemand entgegen und freut sich wahrscheinlich auch, dass nun er den Gipfel für sich hat. Über einen schönen, schmalen Weg quere ich einen steilen Waldhang und steige schließlich über einen von Mountainbikespuren zerfressenen Weg hinunter zum Löwenburger Hof.

Löwenburg

Von der Margarethenhöhe führt ein bequemer Wanderweg um den Lohrberg herum zum Löwenburger Hof. Dementsprechend voll ist es auch hier wieder. Viele Spaziergänger nehmen auch den Aufstieg zum Gipfel der Löwenburg mit der Ruine der gleichnamigen, mittelalterlichen Burg auf sich, in deren Mauern man sich in ein bisschen „Burgfeeling“ phantasieren kann, immerhin ist dies die besterhaltene Burgruine im Siebengebirge. Aber auch der Ausblick über Breiberg und Drachenfels zum Rhein ist sehenswert und auch als „Drei-Seen-Blick“ bekannt, da der Fluss an drei verschiedenen Stellen zwischen den Bergen hindurch schaut.

Nach einigen Fotos steige ich wieder ab, indem ich den Berg auf einem schmalen und weniger begangenen Pfad umrunde, um dann vom Löwenburger Hof den Weg zur Drachenfelsstraße einzuschlagen, die tatsächlich ein, wenn auch breiter, Wanderweg ist. Die führt mich nach wenigen Kilometern zum Milchhäuschen, der nächsten Einkehrmöglichkeit – verhungern oder verdursten kann man im Siebengebirge normalerweise nicht! Auch hier ist wieder ein „to go“-Verkauf eingerichtet und lasse mir einen Cappuccino und ein Stück Kuchen schmecken. Da der Verzehr in mind. 50 m Abstand zur Ausgabe erfolgen muss, haben die Wirtsleute mehrere Bierbänke im weiten Umkreis an den Wegen und auf Wiesen verteilt.

Wolkenburg

Auch auf die Wolkenburg führt kein offizieller Weg und so biege ich auch erst einmal zu früh vom Hauptweg ab, um bald festzustellen, dass der eingeschlagene Pfad mich bestenfalls in den ehemaligen Steinbruch führt, aber nicht auf die Bergkuppe. Das Gestein der Wolkenburg, ein feinkörniges Vulkangestein namens Latit, war als Baumaterial im 18. und 19. Jhd. recht beliebt. So fand es z. B. am Kölner Dom, an den Brühler Schlössern Augustusburg und Falkenlust und am Poppelsdorfer Schloss in Bonn Verwendung. Der Steinbruchbetrieb war gleichzeitig das endgültige Todesurteil für die 1118 errichtete Burg, die auf dem Gipfel des Berges stand und bereits 1518 durch eine verheerende Schwarzpulverexplosion unbewohnbar geworden war.

Einen eindeutigen Gipfel gibt es nicht mehr – auch der ist durch den Steinbruchbetrieb verschwunden. Das Gipfelplateau ist zerklüftet; Mauerreste, umgestürzte Bäume und ungenutzte Latit-Felsen hinterlassen einen recht wilden Eindruck, bei dem man beinahe erwartet, einen Bären oder einen Wolf um die Ecke biegen zu sehen. Natürlich gibt es nichts dergleichen. Die einzige, die ich überrasche, ist eine Frau, die sich mit einem erleichterten Lachen zu ihrem Mann umdreht, während sie den letzten Knopf an ihrer Jeans schließt. Sorry, konnte ich ja nicht ahnen!

Drachenfels

Bleibt noch der letzte der sieben Berge, der gleichzeitig der berühmteste ist. Mit seiner vom Rheintal aus zu sehenden Burgruine wurde er zum Inbegriff der Rheinromantik, deren Erstarken zur Einstellung des Steinbruchbetriebes führte, wodurch Berg und Ruine in ihrer heutigen Form bewahrt wurden. Naja, fast zumindest. So ein ehemaliger Steinbruch bleibt in Bewegung. 2017 musste der Eselsweg, einer der Zugänge zum Drachenfels, wegen akuter Steinschlaggefahr gesperrt werden. Daraufhin wurden Hunderte von Klüften mit Beton verschlossen, Felsanker erneuert und bis zu sechs Meter lange Stahlstifte in den Fels getrieben. Jetzt ist wieder Ruhe – erst einmal.

Der Drachenfels ist heute Nachmittag gut besucht, auch die Zahnradbahn ist in Betrieb und bringt laufend maskenverhüllte Menschen zum Restaurant, das natürlich ebenfalls auf take-away umgestellt hat. Auch etwas weiter oben an der Ruine tummeln sich die Leute und genießen den Blick auf den Rhein und ihre Smartphones (mit welcher Priorität auch immer). Über den Eselsweg, der Ende letzten Jahres wieder freigegeben wurde, und das Nachtigallental gelange ich schließlch wieder an den Ausgangspunkt meiner Wanderung zurück.

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Hans
Hans
3 Jahre zuvor

Schöner Beitrag, lieber Tom! Und wie immer viel kurzweilige Detailinformation mit eindrucksvollen Bildern. Mach weiter so zu deiner eigenen, aber auch zur Freude deiner Leser!

Viktor
3 Jahre zuvor

Da zeigt es sich mal wieder: Man muss nicht immer weit reisen, um Schönes zu sehen. Oder wie man so sagt: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah.“…