Roter Stein, grüner Wein und der Beginn der deutschen Demokratiebewegung
Statt grünem Wein hätte ich auch grüner Wald schreiben können – hätte auch gepasst. Die Pfalz besteht ja tatsächlich aus mehreren Landschaften. Da gibt es die sanft gehügelte Nordpfalz, den bergigen Pfälzer Wald mit seinen Buntsandsteinfelsen und die für ihren Weinbau bekannte Vorderpfalz. Aber der Reihe nach:
Von Kirn aus fahre ich ein Stück den Nahe-Radweg bis Sobernheim, erst weniger schön an der Straße entlang, dann aber ruhiger auf der anderen Talseite. Ich biege ab in das beschauliche und durchgängig ruhige Glantal, in dem aber erstaunlich viele Radler unterwegs sind. Auch das ab Lauterecken sich anschließende Lautertal ist zwar grün, aber eher unspektakulär. Ich fahre durch bis zu Leo, der zwar leider nicht da ist, dafür lässt mich Simon, sein Sohn rein!
Nach einem Ruhetag bei Leo komme ich viel später als gedacht von dort weg. Vielleicht sollte ich mir die geplante Auffahrt zum Hambacher Schloss schon aus Zeitgründen sparen. Aber so weit ist es ja noch nicht. Erst einmal fahre ich von Hochspeyer aus der Bundestraße entlang nach Neustadt, meistens auf einem Radweg, der aber auch schon mal unangekündigt endet, so dass es dann auf der Straße weitergeht. In vielen Kurven verläuft das Tal tiefeingeschnitten durch grüne Mischwälder, die immer wieder von kleinen Straßendörfern oder roten Buntsandsteinfelsen unterbrochen werden. Auch die Burgruine Frankenstein (was für ein Name!) grüßt von einer Anhöhe herunter.
In Neustadt halte ich mich rechts, um nicht unnötig Höhe zu verlieren und erreiche schließlich den Punkt, an dem sich nach meiner Route Zu- und Abweg zum Hambacher Schloss treffen. Bis hierhin war es doch schon einiges an Höhe, so dass es jetzt nur noch ca. 100 weitere Höhenmeter bis zum Schloss sind. Wahrscheinlich würde ich mich im Nachhinein ja doch ärgern, wenn ich die jetzt weglassen würde. Also noch eine letzte schweißtreibende Anstrengung und ich bin auf dem Besucher-Parkplatz. Erst mal brauche ich eine Pause, esse und trinke etwas. Dann besuche ich das Schloss.
Bekannt wurde das Hambacher Schloss vor allem durch das Hambacher Fest, das 1832 hier stattgefunden hat und zur Keimzelle der deutschen Demokratiebewegung wurde. Und das kam so:
Seit 1801 gehörten die linksrheinischen Gebiete zur Französischen Republik, wodurch die Pfälzer von Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) infiziert wurden. 12 Jahre später war der Spaß aber auch schon wieder vorbei: Napoleon verlor die „Völkerschlacht bei Leipzig“ und unterlag auch bei mehreren Rückzugsgefechten. Die Allierten teilten die von Napoleon zurück eroberten Gebiete auf dem Wiener Kongress untereinander auf und die Pfalz fiel letztlich an das Königreich Bayern. Die aus der Revolution übernommenen Freiheitsrechte wurden nun viel restriktiver gehandhabt.
Infolge sozialer Spannungen durch die beginnende Frühindustrialisierung, protektionistischer Zölle, strenger Winter und durch Missernten gestiegender Nahrungsmittelpreise wuchs der Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Idee, ein „Protestcamp“ zu veranstalten, verdichtete sich, allerdings waren politische Versammlungen verboten. So nannte man das Ganze ein Volksfest, organisierte einen Jahrmarkt, Musikdarbietungen und Verköstigungen am Hambacher Schloss. Zusätzlich wurden Rednertribünen aufgestellt, auf denen jeder, der wollte, eine Rede halten durfte. 30.000 Menschen kamen. Es wurden Forderungen nach Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, nach Gleichberechtigung für Frauen, und nach einem vereinten Deutschland, ja sogar einem konföderierten republikanischen Europa laut; erstmals wurden dabei auch die Farben schwarz-rot-gold (als Kokarden) getragen.
Aber Deutschland war noch nicht so weit. Der deutsche Bund reagierte mit Repressionen und Verhaftungen. Die nächste Chance ergab sich 16 Jahre später, in der Märzrevolution von 1848 und der anschließenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Wie jeder weiß, dauerte es trotzdem nochmals 100 Jahre, bis sich Demokratie und Menschenrechte endgültig in Deutschland festsetzen konnten.
So, das war natürlich nur die Kurzfassung. Mehr dazu findet sich z. B. in der Wikipedia und natürlich in der Dauerausstellung auf dem Hambacher Schloss.
Für mich geht es nun kilometerweit entlang der Deutschen Weinstraße oder über parallel verlaufende Feldwege direkt durch die Weinberge. So frisch wie gedacht ist die Luft hier allerdings auch wieder nicht. Es riecht immer wieder nach Spritzmitteln. Hoffentlich ist das auch alles wieder raus, bis der Wein in der Flasche ist! Trotzdem ist das eine wunderbare Wegstrecke, die auch durch viele kleine Weindörfer führt mit Sandstein- und Fachwerkhäusern, Weinstöcken vor der Tür und Geranien auf dem Fensterbrett.
Hier ein Bilderreigen von der Strecke zwischen Hambach und Annweiler am Trifels:
Ich übernachte bei Phillip und Nicole, die ich über warmshowers kontaktiert habe. Wieder so eine tolle warmshowers-Erfahrung: nette, unkomplizierte Menschen, die offen für jeden Dahergefahrenen wie z. B. mich sind; ich bekomme ein eigenes Zimmer zugewiesen, werde mit selbstgebackener Pizza und am Morgen mit ebenfalls selbstgebackenen Laugenstangen verköstigt, abwechslungsreiche Gespräche über Brotbacken, Politik, Psychiatrie und Fahrradfahren inbegriffen. Bevor ich weiterfahre, läuft Nicole mit mir noch auf den Scharfenberg (die „Münz“), von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Burg Trifels hat und weiter zum Anebos.
So ist es schon Mittag, bis ich wegkomme und es ist schwül. Mein nächstes Ziel ist der Teufelstisch bei Hinterweidenthal, wo die Erosion ein wahres Wunderwerk geschaffen hat, bei dem eine drei Meter mächtige Sandsteinplatte auf einem mehrfach gespaltenen Fuß von 11 Meter Höhe liegt. Immer noch liegt, muss man eigentlich sagen.
Dann wird die Strecke richtig schön, ein durchgängig asphaltierter Radweg durch den Pfälzer Wald abseits aller Autostraßen führt mich an Dahn vorbei und weiter Richtung Wissembourg. Allerdings wird es immer schwüler und das bei 32 Grad! Die Wolken im Westen werden grauer und einzelnes Donnergrollen ist zu hören. Ich schminke mir das mit dem Draußenschlafen für heute ab und frage mich nach einer Unterkunft durch. In Bobenthal werde ich fündig. Die alte Frau Hoff öffnet ihr Fremdenzimmer für mich, obwohl sie es eigentlich gar nicht mehr vermietet, die Betten sind sogar noch frisch bezogen. Das Bad muss sie noch herrichten und das Warmwasser anstellen. Draussen ärgert sich das Gewitter lautstark, dass es mich nicht mehr erwischt hat!
Am Morgen ist der Weg übersät mit Ästen, Zweigen und zusammengespülten Inseln von Laub und Dreck. Ich fahre weiter das Wieslautertal hinunter und bin plötzlich in Frankreich, einige Kilometer weiter dann in Wissembourg. Ein ausgesprochen schönes Städtchen und natürlich lasse ich mir einen Petit Café in einem Bistro nicht entgehen. Der Kaffee ist wie so häufig in Frankreich nicht zu toppen! Hier ein paar Eindrücke aus Wissembourg:
So plötzlich, wie ich in Frankreich war, bin ich auch wieder raus. Die EU hat schon auch ganz praktische Vorteile! Nun sind es nur noch wenige Kilometer mit kleinen Straßendörfern, hübschen elsässischen Fachwerkhäusern und vereinzelten Störchen bis Wörth, wo mich Regina und Werner wie immer herzlich aufnehmen.
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