LEJOG-Addendum: The old man of Hoy

Freitag, 02.06.23

Eigentlich wollte ich ja nochmal Skara Brae besuchen, das heute als besterhaltene jungsteinzeitliche Siedlung Europas gilt und seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Hier war ich mit meiner damaligen Freundin Gaby vor bald 50 Jahren einmal. Dafür wollte ich den Bus von Kirkwall aus nehmen (ja, mal nicht mit dem Rad, zumal eine der beiden Strecken wieder im Gegenwind gewesen wäre). Der Bus fährt allerdings nur dreimal die Woche. Und, ratet mal, wann nicht? Genau, u. a. freitags.

Statt dessen nehme ich den Bus nach Stromness und von dort aus die Fähre nach Hoy, eine der vielen anderen Inseln der Orkneys. Auf der Überfährt sehen wir Tümmler, weshalb der Bootsführer extra die Fahrt verlangsamt.

Auf Hoy angekommen, bin ich der einzige Wanderer, der weiter über die Insel nach Rannick läuft. Mein Ziel ist der „old man“, ein vor den Klippen der Westküste spektakulär frei stehender Sandsteinturm, den Gaby und ich damals ebenfalls besucht hatten.

Mein Weg schlängelt sich durch ein Torfmoor voller Heidekraut, das sich vor dem Wind eng an den Boden duckt. Ein paar Möwen bevölkern die ansonsten bis auf das Rauschen des Windes völlig ruhige Szenerie. Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass ich doch nicht ganz alleine bin. In einigem Abstand folgt mir ein weiterer Wanderer und schliesslich sehe ich noch zwei Leute vom Ward Hill absteigen.

Nach knapp zwei Stunden bin ich in Rackwick, wo ich angesichts der im Süden liegenden Klippen eine kurze Pause einlege. Auf dem Weg zum old man sind nun doch ein paar Leute unterwegs. Rackwick lässt sich, sofern man mit einem Fahrzeug auf die Insel gekommen ist, problemlos mit Auto oder Fahrrad erreichen.

Der Weg zum old man ist heute viel breiter, als ich ihn von früher in Erinnerung habe und wahrscheinlich ist er das auch. Schließlich ist es bald 50 Jahre her, dass ich hier war. Und seitdem haben die Besuchermengen an sämtlichen schönen Orten der Erde zugenommen.

Als ich an meinem Ziel ankomme, sind bereits ein gutes Dutzend Leute da. Eines wird mit allerdings auch klar: der alte Mann hat seit damals abgenommen! Der Zahn der Zeit nagt am relativ weichen Sandstein halt noch schneller als ohnehin schon.

Faszinierend aber auch, wie so ein Turm sich immer noch gegen Erosion und Schwerkraft behauptet. Überhaupt fehlen mir ein wenig die Worte, diese herrliche Umgebung bei dem Premiumwetter zu beschreiben, den Kontrast des roten Sandsteins vor dem dunkelblauen Ozean, dazu die grünen Wiesen, die weißen Möwen, die die Szene bevölkern. Das ist so ein herrliches Gesamtkunstwerk, nein falsch, ein Werk, das die Natur ohne Zutun des Menschen geschaffen hat und das so gar nichts Künstliches an sich hat.

Nach langer Pause gehe ich nicht denselben Weg zurück, sondern über einen nach Norden verlaufenden Pfad weiter. Die Karte zeigt zwar im späteren Verlauf keinen Weiterweg, aber egal. Irgendwie werde ich da schon runter kommen. Die Höhenlinien zeigen nicht nur Klippen, sondern auch flacheres Gelände an. Tatsächlich verliert sich der Weg dann auch irgendwann. Weglos durch steiles Heidekraut stapfend, komme ich trotzdem wieder runter und an die Nordküste, von wo ich zurück zum Fähranleger laufe.

Noch eine Stunde, bis die Fähre fährt und die verbringe ich in der Sonne vor dem Cafe Beneth’ill mit Blick auf den Ward Hill. Was für ein perfekter Abschluss dieser Reise!

Ascent/Descent:
806 m 806 m
Distance:
22.05 km
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6 Kommentare
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Angelika
Angelika
10 Monate zuvor

Lieber Tom, nach eigenen zwei Wochen Urlaub hatte ich viel nachzulesen und zu bestaunen. Herzlichen Glückwunsch zu deiner grandiosen Leistung – sportlich und psychisch – und vielen Dank für die phantastische Reiseberichterstattung und viele wunderbare Fotos, ich hab es genossen und viel gelernt. Meine englische Brieffreundin hat übrigens mitgelesen. Im Oktober soll es auch für Uli und mich nach England gehen und ich bin nun noch motivierter, mich dem Land – sofern das Wetter mitspielt – vom Wasser aus zu nähern.
Viele Grüße
Uli und Angelika

Christa+Reppel
Christa+Reppel
10 Monate zuvor

Total perfekt, in der Tat! Den Old Man zu sehen, ist ja ein Ereignis für sich. Ich zeige dir demnächst mal ein Foto, auf dem ein Artist vom Land auf einem Seil oben in der Luft zu dem Old Man spaziert….Das kam in die Zeitung als Meldung des Tages, vor einigen Jahren. Du bist zwar nicht auf dem Seil spaziert, hast aber eine wunderbare Wanderung dorthin unternommen, die letzte auf dieser Reise, die du ja unglaublich abwechslungsreich gestaltet hast. Gute Rückreise , vor allem mit dem Fahrrad im Gepäck und bis auf ein baldiges Wiedersehen herzliche Grüße und danke für… Weiterlesen »

Birgit
Birgit
10 Monate zuvor

Und auch jetzt habe ich die Sonne, die Athmosphäre gespürt ohne jemals in diesem Land gewesen zu sein. Danke an den Schreiber.