LEJOG – das Fazit

Das Konzept

Logo der Land’s-End John o‘ Groats Association

Nach wie vor bin ich begeistert von der LEJOG-Idee: Man gibt einen Anfang und einen Zielpunkt vor, was dazwischen passiert, ist den Vorlieben und der Fantasie jedes Einzelnen überlassen. Ob man es auf einen Rekord anlegt (schnellste oder direkteste Durchquerung), auf Originalität (mit Skateboard, Bobbycar oder öffentlichen Verkehrsmitteln), oder auf eine epische Reise: dieses Konzept lässt soviel Spielraum für Individualität wie es das Nachlaufen oder -fahren einer vorgegebenen Route niemals ermöglicht. Übrigens gibt es mit der LEJOG association auch eine Organisation, die bei der Planung unterstützt und Durchführungen zertifiziert.

Dieses Konzept kann man sicherlich auch auf andere Gegenden dieser Welt übertragen. Ich habe da schon eine Idee …

Meine Routenplanung habe ich übrigens mit cycle.travel durchgeführt, einem Tool, das sich nicht akribisch an vorgegbene Routen hält und dabei auch kaum befahrene Nebenstraßen findet. Verschieben und Umplanen der Route geht so schnell vor sich, wie ich das von keinem anderen Planungstool kenne. Alle Routenvorschläge waren uneingeschränkt empfehlenswert! Ich bin zu einem regelrechten Fan der Software geworden und werde sie künftig auch bei der Planung von Touren in anderen Ländern einsetzen.

Wegenetz und -qualität

Großbritannien hat mit dem National Cycle Network ein recht dichtes Netz von ausgeschilderten Radwegen. Die Qualität, insbesondere der Wegeoberflächen, ist dabei allerdings extrem unterschiedlich. Von perfekt asphaltierten ehemaligen Bahntrassen, die wir auch aus Deutschland oder Frankreich kennen, über schmale unbefestigte Wege, die bei Nässe schwer befahrbar werden bis zu Nebenstraßen, die fast nur aus Schlaglöchern bestehen, ist alles vorhanden!

Völlig unverständlich sind mir die vielen Engstellen und Hindernisse, die Radfahrern mitunter in den Weg gelegt werden und mich teilweise zum Abladen des Gepäcks nötigten, damit ich mein Rad überhaupt hindurch oder darüber hinweg bekam! Auch, dass der Autoverkehr an jeder einmündenden Straße Vorfahrt gegenüber dem parallel zur Hauptstraße verlaufenden Radweg hat, ist für mich eine unnötige Schikane, die davon zeugt, dass auch im Vereinigten Königreich Verkehr in erster Linie autozentriert gedacht wird.

Linksverkehr

Klar, ich war nicht das erste Mal auf den britischen Inseln, aber das erste Mal mit dem Rad! Und – für mich selbst verblüffend – war das Fahren auf der „falschen“ Straßenseite vom ersten Moment an selbstverständlich. Der am rechten Lenkergriff montierte Rückspiegel gab dabei zusätzliche Sicherheit. Nur zu Fuß musste ich beim Überqueren von Straßen jedes Mal aufs Neue überlegen, aus welcher Richtung die Autos denn jetzt kommen und ob ich erst nach links oder nach rechts schauen muss.

Wetter

Mit dem Wetter habe ich ziemliches Glück gehabt. In Devon hat es mal heftiger geregnet und später in Schottland noch mal ein wenig – alles in allem max. dreieinhalb Tage in den 26 Tourentagen. Dafür war es auch an sonnigen Tagen, von denen ich unerwartet viele hatte, kälter als erwartet, sodass ich im Norden die meiste Zeit mit Windjacke und Handschuhen gefahren bin.

Highlights

Landschaftlich hat Großbritannien viel zu bieten: Strände, Felsküsten, Gebirge, Parks, Acker- und weiträumige Weideflächen und viele Seen. Meine persönlichen Highlights waren die vielen kleinen Kanäle in England, das Great Langdale im Lake District und die Strecke von Carlisle nach Arran, Arran selber und Mull und das schottische Hochland.

Begegnungen

Erstaunlicher Weise habe ich in zunächst kaum andere Tourenradler getroffen. Erst in Schottland nahm deren Dichte spürbar zu. Man grüßt sich und, fährt man in dieselbe Richtung, wechselt einige Worte miteinander.

Uneingeschränkt positiv waren wieder meine (wenigen) warmshowers-Begegnunen, mit Antony und Marina in Yatton, mit Jack in Chester und mit Joan und Martin in Southport. Das Tolle dabei ist immer, dass man nicht nur von vornherein ein gemeinsames Gesprächsthema hat (aus dem sich meistens weitere entwickeln), sondern mit Menschen vor Ort ins Gespräch kommt, also nicht nur Land, sondern auch Leute kennenlernt. Aber auch bei den bezahlten Übernachtungen, bei denen ich private Unterkünfte und kleine Gasthöfe großen Hotels vorziehe, habe ich viele zuvorkommende Menschen getroffen. Nie war z.B. die sichere Unterbringung meines Rads ein Problem. Irgendein passender Ort wurde immer gefunden, im verschlossenen Hinterhof, im Lagerraum bei den Bierfässern oder auf dem Zimmer.

Was hoffentlich bleiben wird, ist der Kontakt mit Werner aus Nördlingen, den ich an der Fähre nach Arran traf und mit Kelvin und Grace aus Singapur, die mir in der LEJOG-Facebook-Gruppe aufgefallen waren, weil sie mit Bromptons durch Großbritannien radelten und die ich dann in Kirkwall beim Warten auf die Fähre nach Aberdeen „in natura“ traf.

Einsamkeit

Mehrfach wurde ich nach meiner Rückkehr gefragt, ob ich nicht einsam gewesen wäre unterwegs. Tatsächlich ist es so, dass ich mich alleine in einer weiten Landschaft wie dem schottischen Hochland nicht einsam fühle, sondern mich viel mehr als Teil dieser fantastischen Umgebung begreife. Einsamkeit empfinde ich dagegen, so paradox sich das zunächst anhören mag, in großen Menschenmassen. Dort, wo ich als Alleinreisender niemanden kenne, z. B. in einem Pub. Hier gibt es viele Gruppen von Leuten, die gemeinsam hier sind und Spaß miteinander haben. Und ich gehöre zu keiner von ihnen. So erging es mir auch letztes Jahr auf dem Refugi d’Ull de Ter in den Pyrenäen (s. https://radundfuss.net/2022/07/26/gratwanderungen/). Aber zum Glück kommt das selten vor, nicht zuletzt, weil ich solche Umgebungen meide. Sobald nur wenige Menschen aufeinandertreffen, kommt man sehr schnell ins Gespräch.

Anstrengung

Oh ja, anstrengend war die Tour! Es war sogar die anstrengendste Unternehmung, die ich in den letzten Jahren durchgeführt habe. Erschwert wurde das Ganze noch dadurch, dass ich quasi untrainiert und noch Birkenpollen-geplagt losgefahren bin und gleich der Beginn in Cornwall (und auch in Devon) mit vielen und unangenehmen Steigungen aufwartete. Und hätte ich eine Woche Regen am Stück gehabt, wer weiß, ob ich das durchgezogen hätte. Aber so stimmte die Motivation, der Durchhaltewille wurde permanent durch die Erwartung des noch Kommenden gestärkt und um die Reserven nicht unters Limit zu fahren, habe ich zwischendurch alles an Kalorien zu mir genommen, was ich finden konnte. Abgenommen habe ich trotzdem mal wieder, aber nur zwei Kilo und nicht wie letztes Jahr fast sechs.

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Andreas+Keller
Andreas+Keller
10 Monate zuvor

Vielen Dank für die interessante Reise! Es hat wieder Spass gemacht, dabeizusein!

Ralf Boden
Ralf Boden
10 Monate zuvor

Ja, das ist ein positives Resümee. Jetzt hast du das Erlebte nicht nur digital festgehalten, sondern kannst es auch zu den anderen Schätzen in deine mentale Reisetruhe legen, dort jederzeit herauskramen und und dir ansehen. Auch ich stimme deinen Empfindungen zu Einsamkeit zu. Man fühlt sich in der Natur aufgehoben und weit und in einer anonymen Menschenmenge abgespalten und eng. Mein bester Freund war täglich unter den gewohnten Gesichtern derer, die am Bahnhof mit mir auf den Zug zur Arbeit warteten, da gab es jahrelang keinen Kontakt. Kennengelernt haben wir uns erst, als wir uns dann zufällig wochenends auf einer… Weiterlesen »

Viktor
10 Monate zuvor

Schön, dass du dein Fazit mir uns teilst. Danke dafür. Vor allem deine Gedanken zu den Themen „Begegnungen“ und „Einsamkeit“ kann ich nach zahlreichen alleine durchgeführten Reisen zu 100% teilen.
Ich freu mich schon auf deine nächste Tour und bin gespannt, was die drei Punkte am Ende der Aussage „Ich habe da schon eine Idee …“ noch ergeben werden 😉
VG, Viktor