Mit Rad und Fuss zur Waldau
Christian ist 17 und geht aufs Berufskolleg. In seiner Freizeit daddelt er gerne oder spielt auf seinem Harmonium. Über die Firma Nintendo, dessen langjährigen Chef Hiroshi Yamauchi und seinen „Sound-Mastermind“ Koji Kondo kann er wahrscheinlich mehr erzählen als die beiden Herren selbst über sich wissen 🙂 Er kennt sämtliche Super Mario-Spiele und -Level und ist ein großer Fan der „Zelda„-Serie (The Legend of Zelda). Er würde auch gerne öfter mit seinen Freunden abhängen, das ist aber schwierig, wenn man Muskeldystrophie hat, seit vier Jahren nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen kann und auf den E-Rolli angewiesen ist.
Als Ehrenamtler des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes (AKHD) Bonn habe ich Christian im letzten Sommer kennengelernt. Seitdem unternehmen wir möglichst wöchentlich irgendetwas zusammen – wenn ich nicht gerade mal wieder unterwegs bin. Damals schon hatte er die Idee zu einer Wanderung. Kein Städtetrip, sondern durch ganz normale Orte und Dörfer zu laufen. Ein paar Pläne haben wir aus unterschiedlichen Gründen wieder verworfen, aber jetzt ist es endlich soweit: wir starten ohne irgendwelche Anfahrtsprobleme vor seiner Haustür in Rheinbach, Ziel ist die Waldau in Bonn. Christian hat gerade Herbstferien und der Wetterbericht verspricht bis zu 21 Grad: heute passt alles!
Die Wolken sehen aus wie schlecht animiert
… meint Christian, als wir kurz hinter Rheinbach entlang der Bahnlinie und durch Felder und Baumschulen laufen – bzw. fahren: das leise Summen seines E-Rollis ist unser ständiger Begleiter, was Kilometer später zu dem Spruch führt: „es ist so still hier, wenn der Rollstuhl keine Geräusche macht“! Aber witzig, das mit den Wolken: die sind schließlich echter als jede Animation.
Und noch ein Satz zeigt mir, wie selbstverständlich mir, der ich viel mit dem Rad und zu Fuß unterwegs bin, manche Dinge erscheinen, die es vom Rollstuhl aus betrachtet nicht unbedingt sind:
Völlig ungewohnt, soviel Himmel zu sehen, ohne ein Haus dazwischen!
Nach einer guten Stunde müssen wir durch Flerzheim durch. Hier gibt es keine durchgehend Rollstuhl-fähige Route. Über rund 200 Meter ist entweder kein Bürgersteig vorhanden oder es gibt keine abgesenkte Bordsteinkante, wo Christian mit dem Rolli rauf oder runter kann. Er fährt auf der linken Straßenseite, dem Verkehr entgegen, ich laufe hinterher, so dass die Warnweste, die ich mir übergeworfen habe, über Christians Kopf hinweg zu sehen ist. Die Autofahrer, die uns entgegenkommen, machen alle einen weiten Bogen. Na, geht doch!
In Lüftelberg laufen wir an der Wasserburg vorbei. Leider können wir nur einen Blick von außen auf das Anwesen werfen; die Burg ist in Privatbesitz. Nachdem wir das Dorf verlassen haben, müssen wir wieder auf einer Gehweg-freien Straße laufen. Das ist aber eine zwei Kilometer lange Sackgasse, die am Bahnhof Kottenforst endet und in der Woche quasi nicht befahren wird. Christian macht sicherheitshalber seine Warnblinkanlage an, was sich aber bald als unnötig erweist: auch anderthalb Kilometer weiter hat uns nicht ein Auto passiert.
Bahnhof Kottenforst: Halbzeit! Und Pause. Nach 10 km auf Asphalt merke ich langsam meine Füße. Ein Cappuccino bzw. ein Kakao auf der Terasse päppeln uns wieder auf – in der Sonne ist es richtig warm!
Nun geht es in den Wald. Und der „sieht so freundlich aus“, wie Christian meint. Kein Wunder, neben Herbstgelb und -rot gibt es immer noch helles Grün, durch das sich die Sonnenstrahlen schummeln und die Farben zum Leuchten bringen!
Wie eigentlich immer im Kottenforst ist der Weg voller Käfer, die die Straßenseite wechseln wollen, die einen nach links, die anderen nach rechts, eine Logik scheint es nicht zu geben und auf die Richtung einigen können sie sich auch nicht. Kommentar Christian:
Es gibt so viele Käfer hier, ich musste schon ein paarmal ausweichen, um sie nicht platt zu fahren.
Am Jägerhäuschen, einer bald 300 Jahre alten Relaisstation für Parforcejagden (hier wurden die Pferde gewechselt), erzähle ich Christian ein wenig vom Kurfürsten Ernst August und dem für seine Gebäude so typischen hellgelben Putz, den man auch im Bonner und Brühler Stadtbild findet. Anschließend unterhalten wir uns über gute und schlechte Filme, Animes, Zeit- und Raumkontinuen, Waldarbeiten und sind plötzlich an unserem Ziel, der Waldau. Hier wird Christian von Mutter und Schwester abgeholt, aber erst, nachdem wir noch ganz klassisch Kaffee und Kuchen verspeist haben. Verdient haben wir uns den allemal!
[…] vollkommen verständlich. Da ich mit meinem 94jährigen Vater und meinem “Schützling” Christian aber auch zwei Personen im direkten Umfeld habe, für die eine Infektion ein erheblich erhöhtes […]
So schnell können Träume in Erfüllung gehen. Super und danke für deinen Einsatz.
Tolle Aktion. Du hast meinen Respekt!
Nach Jahrzehnten IT wollte ich halt auch mal was Sinnvolles tun 😀
🙂