immer noch Tag 8: von Potsdam nach Lübben
Am Nachmittag steigen wir in die Bahn und fahren auf diese Weise nach Berlin, wo sich weiterhin eine Baustelle an die andere reiht – und jetzt soll auch noch das Stadtschloss rekonstruiert werden. Ist Berlin nicht ohnehin das „Bundesland“ mit den meisten Schulden? Jedenfalls hatten wir keine Lust, mit den Rädern durch den Stadt-Moloch zu radeln. Wir wechseln den Regional-express und fahren durch Wälder, Felder und vereinzelte Orte der Unterlausitz nach Lübben im Spreewald.
Hier hatten wir sicherheitshalber, da mal wieder Wochenende ist, bereits von Potsdam aus gleich für zwei Nächte vorgebucht, außerdem wollten wir am nächsten Tag das tun, wofür der Spreewald bekannt ist: eine Kahnfahrt machen (ja, und auch eine Gurke essen). Die Ernüchterung folgt im Tourist Office: da aus der oberhalb liegenden Talsperre Spremberg und dem Stausee bei Staupitz vermehrt Wasser in die Spree eingeleitet wird, kommt es momentan zu Fließge-schwindigkeiten, die das Staken der Kähne unmöglich machen. Alle Kahnfahrten sind untersagt, auch dürfen keine Kanus vermietet werden. Stattdessen wird uns eine kleine Radtour ans Herz gelegt (wie originell), nur nicht auf dem Spree-Radweg, der ist nämlich wegen des hohen Wasserstandes auch teilweise gesperrt!
Ab in die Pension, Essen (und Trinken) gehen – morgen sehen wir weiter!
Tag 9: Im Unteren Spreewald
Schon morgens hören wir, dass das Elbe-Hochwasser in Hitzacker einen Rekordwert erreicht hat und in Lauenburg und Magdeburg Evakuierungen stattfinden. Eigentlich liegt das ja hinter uns, aber es lässt uns nicht kalt. Natürlich werden wir permanent daran erinnert, dass unsere geplante Tour buchstäblich ins Wasser gefallen ist, was eher frustrierend ist. Aber: Hitzacker, Lauenburg: das sind keine Unbekannten aus den Nachrichten, da waren wir vor ein paar Tagen noch. Die schönen alten Fachwerkhäuser in Lauenburg, wo wir zunächst kein Café für unsere Cappuccino-Pause gefunden haben, der „Gasthof mit Drahtesel-Ausspann“, der ein altes Fahrrad als Einladung an der Hauswand montiert hat, der Bonbon-Laden im Haus von Hinrich Rodtman von Anno 1647: sie alle können aktuell vermutlich noch nicht mal aus dem Erdgeschoss-Fenster schauen!
Aber schon zum Frühstück scheint die Sonne und wir sind froh, als wir dem anhaltend leichten Lamento unseres Vermieters und seinem zu laut aufgedrehten Kofferradio, das wohl für „Atmosphäre“ sorgen soll, entkommen und unseren „Ruhetag“ beginnen können: auf dem Fahrrad! Na gut, aber heute nur mit kleinem Gepäck!
Wir fahren von Lübben aus über den Gurken(!)-Radweg erst auf Deichen, über den Myriaden von kleinen Viechern schwirren, die sich wie eine zweite Haut auf uns legen, aber zum Glück weder stechen noch beißen. Hinter der Schleuse Hartmannsdorf gelangen wir an mehrere Fischteiche, wo wir erst einen schwarzen Milan und dann noch einen jungen Fuchs sehen! In Schlepzig angekommen, machen wir eine Pause mit – ja klar, was denn sonst? Aber wir suchen dazu den Brennereihof Spreewaldini auf, wo ich gerne auch noch den Whisky probieren möchte, den der freundliche Herr in der Tourist-Info erwähnt hat. Das verschieben wir allerdings auf die Rückfahrt, denn jetzt geht es erst mal durch die Kiefern-bestandene Moränen-Landschaft der Krausnicker Berge auf den 144m hohen Wehlaberg – Mountainbiken mit Reiserädern! Von dessen Aussichtsturm (noch mehr Höhenmeter!) sieht man über scheinbar endlose Wälder und dann steht da mitten drin dieser Mords-Trumm von einer Halle: In dieser weltweit größten freitragenden Halle
sollte der Cargo-Lifter montiert werden: ein Lasten-Luftschiff für bis zu 160 Tonnen Fracht, das allerdings nie abgehoben hat. 360 Meter lang, 210 Meter breit und 107 Me-ter hoch enthält die Halle seit 2004 – die Cargolifter AG musste 2002 Insolvenz anmelden – einen tropischen Freizeitpark.
Vom Wehlaberg aus nehmen wir die direkte Abfahrt nach Köthen: wenn schon Mountainbiken, dann auch Downhill! Dabei rutschen meine profilarmen Reifen allerdings im tiefen Sand weg, ich bremse auch noch falsch und schon mach ich einen Überschlag, der wegen des weichen Untergrundes aber folgenlos bleibt. Die B-Note fiel allerdings nicht besonders hoch aus, fürchte ich.
Zurück in Schlepzig belohnen wir uns erst mit einem Spreewaldbier – Schlepzig hat nämlich nicht nur eine Brennerei, sondern auch ein Brauhaus – und dann mit einem Whisky-Tasting. Während das Bier nicht weiter zu empfehlen ist, hat der Whisky einen „wow“-Effekt, so dass ich eine Flasche kaufe und die ganze Oder, oder wo immer wir noch herfahren, mit“schleppen“ werde. Und da es nur eine kleine Flasche ist, nehme ich sie in Fassstärke – so hält sie länger 🙂
Den Rückweg absolvieren wir wesentlich schneller als den Hinweg und das liegt nicht am Whisky: uns sitzt ein Gewitter im Nacken und damit insbesondere auf dem Deich ein ungutes Gefühl im Bauch.
Tag 10: Lübben (Spreewald) – Forst (Lausitz)
Über den Spree-Radweg nach Lübbenau zu fahren, ist derzeit nicht möglich, der Weg ist wegen Hochwasser gesperrt. Das Gleiche gilt für den Spree-Deich bei Burg. So sehen wir nicht viel von der Spree, sondern fahren stattdessen auf meist gut asphaltierten Feldwegen durch von Kornblumen gesäumte Getreidefelder, sehen hin und wieder einen Milan, einen Bussard und auch mal wieder einen Fischadler, wenn auch weit weg.
Der weitere Weg nach Cottbus führt uns durch lichte Kiefernwälder, unten hohes, hellgrünes Gras auf sandigem Grund, oben dunkelgrüne Kronen und dazwischen rotbraune Stämme, die im Fahren aus den Augenwinkeln wie eine rötliche Wolke vorbeiziehen.
In Cottbus nutzen wir erst einmal einen neuen Service der Stadt: seit letztem Jahr gibt es abschließbare Fahrrad-boxen, in die unsere Räder samt Gepäck hineinpassen. Dazu holt man sich gegen Kaution einen Schlüssel im Lindner Congresshotel direkt neben derTourist-Info und sucht dann die blauen Boxen. Wir suchen etwas länger, aber nachdem wir fündig werden, lässt es sich unbeschwert durch Cottbus laufen.
Über den Altmarkt laufen wir zur Kirche St. Ni-kolai mit ihrem interessanten Barockaltar, der im Materialmix designt wurde: Spitze und Seitenfiguren aus Holz, Altarblock aus Sand-stein, unbemalte Figuren aus Alabaster, das Grab auf dem Hauptbild aus Marmor. Wie immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, steigen wir auch dieser Kirche aufs Dach und betrachten von oben fasziniert den Kontrast zwischen alter Bebauung am Markt und (heute modernisierten) DDR-Plattenbauten im Hintergrund.
Auf dem Weiterweg schauen wir uns noch das während des Jugendstils gebaute Staatstheater Cottbus an (zumindest von außen) dass zwar in der Zeit gebaut wurde, architektonisch aber tatsächlich Jugenstil-Elemente mit anderen Epochen mischt: So finden sich auch Putten, Sandsteinquader, Kupferreliefs, ägyptisch anmutende Obelisken, viele Tiere und Anleihen an die griechische Mythologie als Gestaltungs-elemente – das Ergebnis des Architekten Bern-hard Sehring, dessen Prinzip es war, Stile verschiedener Zeiten in einem Gebäude zu vereinen.
Von Cottbus nach Forst folgen wir dem Teufelchen – dem Symbol der Niederlausitzer Berg-bau Radtour. So kommen wir auch durch Klinge am Rand des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde – der Tagebau ist weiter nach Norden gezogen, das Loch ist geblieben und auch von Klinge selber steht außer dem Bahnhof und dem Raubrittertor nichts mehr – letzteres 750m südlich seines ursprünglichen Standortes. Bis 2030 soll hier der Klinger See entstehen, bis dahin bleiben sicherlich auch die photogrammetrischen Messpunkte oberhalb der Böschungskante, mit denen etwaige Bewegungen der Böschung gemessen werden können.
Wir übernachten in der Pension am Bahnhof – sieht von außen ein wenig merkwürdig aus, öffnet sich aber zu einem gemütlichen Hinterhof, Vermieterin nett, Zimmer sauber, alles gut!