Mittwoch, 18. September
Die Nacht zerrinnt so langsam wie Sand in der Sanduhr. Ich habe das Gefühl, gar nicht zu schlafen. Immer wieder huste ich, juckt mir die Nase. Da wir im Lager alle dicht an dicht liegen, ziehe ich bald eine Maske auf, was den Schlaf allerdings auch nicht fördert. Der einzige und tatsächliche Lichtblick ist der Vollmond, der irgendwann hinter den Bergen im Osten aufsteigt und im Laufe der Nacht den Schlafraum bis in den letzten Winkel ausleuchtet.
Am Morgen ist mir klar: ich kann die Tour nicht fortsetzen, ich bin einfach zu angeschlagen und schlapp. Das tut mir sehr leid, da ja auch Leo sich auf unsere Woche gefreut hat, aber ich kann es nicht ändern. Wir steigen ab. Die Nase juckt, die Augen tränen, ich habe Druck in der Stirn und Kopfschmerzen. Der Husten nervt.
Das idyllische Bergdorf, durch das wir laufen, kann ich kaum genießen. Ist oder war es überhaupt eine Idylle, hier oben zu wohnen, in einem Dorf, das nur zu Fuß über steile Wege erreichbar ist? Hinterlässt vielleicht nur der Sonnenschein auf den kalten Mauern den Eindruck der Idylle? Oder das romantisierende Naturideal eines Städters? Wie war es wohl, hier auf ärztliche Hilfe angewiesen zu sein?
Ich setze einen Schritt vor dem anderen, später einen unter den anderen, als es steil durch felsige Waldhänge ins Tal geht.
Die Trittsicherheit ist zum Glück nicht beeinträchtigt, wohl aber die Konzentration, von der Kraft ganz zu schweigen. Der Körper sagt die ganze Zeit „Hey Mann, hör auf. Ich will nicht mehr“. Und ich drauf: „Sorry, geht nicht. Da müssen wir jetzt durch“. Die Fotos des Tages stammen fast ausschließlich von Leo, mir ist nicht mehr danach.
Irgendwann sind wir in Maggia angekommen. Das Auto steht allerdings weiter oben im Tal in Prato. Zwei Busse bringen uns nacheinander dahin, dazwischen eine Umsteigepause von fast zwei Stunden, die ich zumeist in der Sonne liegend verbringe. Abends um Fünf fahren wir dann nach Hause. Leo muss die ganze Strecke alleine fahren, ich sitze oder liege derweil mit dem Schnutenpulli vor Nase und Mund auf dem flachgelegten Beifahrersitz. Morgens um halb eins sind wir angekommen.
Ein Test erzeugt ein beinahe erwartetes Ergebnis – hoffentlich habe ich unterwegs nicht zu viele angesteckt!
Schade, diese Tour hatten wir uns natürlich grundanders vorgestellt, auch wenn wir sicherlich nicht die Ersten in der Menschheitsgeschichte sind, die von unerwarteten Änderungen betroffen sind. Bei Wilhelm Busch heißt es so schön lapidar:
Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders als man glaubt
[Wilhelm Busch, aus Plisch und Plum]
Irgendwie auch gut, dass man sein Leben nicht komplett durchplanen kann. Das hilft, ein wenig Demut zu bewahren.
Oh, das ist sooo schade – aber hoffentlich geht es dir inzwischen schon wieder besser.
In einer ähnlichen Situation habe ich mal Trost in einem Zitat von Erhart Kästner gefunden: „Ich hätte es gerne gesehen an jenem Tag. […] Komme ich noch einmal im Leben dorthin, dann will ich gewiss danach spähen. So bleibt mir ein Wunsch.“
Selbstfürsorge heißt für sich selbst zu sorgen, zu schauen was geht, was nicht. Es war eine gute Entscheidung ,wenn auch man andere Pläne hatte.
Das ist ja doof. Wie schade! Ich wünsche dir gute Besserung!
Oh je,so eine Enttäuschung,das tut mir echt leid für euch beide . Ich bin immer wieder überrascht,dass Corona auch bei kräftigen,trainierten Menschen,die outdoor aktiv sind,dermaßen durchschlägt . Danke für die vielen so schõnen Fotos und für deine humorvollen Beiträge.
Wir sind heute auf die Lucknerhütte (2.240 m NN) beim Grośglockner gestiegen mitten durchs Pfeifkonzert der Murmeltiere. Ich schicke dir gelegentlich mal ein paar Fotos,als Trostpreis gedacht. Gute und schnelle Besserung und viel Geduld wünscht dir Christa
Scheiße, das tut mit sehr leid für dich! Deine Bemerkung zur Demut finde ich sehr zutreffend. Man sollte übrigens auch gerade angesichts positiver Überraschungen demütig sein, da ja (sic) immer auch alles anders kommen kann.