Finale furioso

Sonntag, 24.9.

Die Wettervorhersage im Postauto

Die Schuhe sind wieder trocken. Fast zumindest. Der letzte Rest Feuchtigkeit wird heute im Aufstieg zur Fergenhütte abgedampft. Aber auch die Berge dampfen, als wir in Monbiel das Postauto (so heißen in der Schweiz die Busse der Post) verlassen, das uns die ersten drei Kilometer Talhatscher erspart. Die höher steigende Sonne treibt die Nässe der vergangenen Tage aus den Berghängen und lässt sie in der noch kühlen Luft in Nebel und Wolken kondensieren.

Blick zurück ins Tal

Wir steigen erst lange auf einer ehemaligen Militärstrasse durch Fichtenwald, vorbei auch an einem Bunker der Schweizer Armee, bis wir in 1.800 m Höhe in offeneres Gelände kommen. Über uns sind Wolken; da hat die Sonne noch viel Arbeit zu leisten, bis die Nässe, die in den Wiesen und Wäldern steckt, wieder verdampft ist.

Kurz vor der Hütte kommen wir an die Untergrenze des Wolkenkragens, der sich um die Berge legt, während die Täler sich bereits in der Sonne räkeln.

Die Wolken reißen langsam auf

Mittags sind wir schon oben und richten uns in der wunderschön gelegenen und hervorragend ausgestatteten Selbstversorgerhütte ein. Martina, die Hüttenwirtin, kommt und füllt die Getränke im „Hüttenkiosk“, einem Vorratsschrank auf Vertrauensbasis (Kasse hängt daneben) wieder auf, prüft das Hüttenbuch und leert die Übernachtungskasse (geht auch auf Vertrauensbasis), reinigt die Toilette und steigt nach drei Stunden Hüttendienst wieder ins Tal ab.

Anfangs ist es hier oben noch sehr kalt, aber irgendwann hat die Sonne die Wolken vertrieben und wir sitzen Kaffee schlürfend auf der Sonnenterrasse und betrachten stundenlang das Panorama. Längst liegt das Tal im kühlen Schatten, während wir auf unserem Aussichtsbalkon den Sonnenuntergang genießen.

Montag, 25.9.

Nach einer sternklaren und kalten Nacht ist der Boden morgens gefroren. Raureif liegt auf dem Gras. Beim Aufstieg zur Fergenfurgga laufen wir uns im wahrsten Wortsinne warm.

Eineinhalb Stunden später sind wir am Joch, bei Sonnenschein, Windstille und herrlichster Fernsicht.

Für den Weg hinunter legen wir die Microspikes an. Auf dem angefrorenen Untergrund geben sie prima Halt. Weiter unten wird der Schnee allerdings weicher und mehr und mehr zur Schmierseife. Unter den Spikes bilden sich Stollen. Und deswegen wohl rutsche ich auf einmal weg, während einer meiner Stöcke zwischen zwei Felsblöcken hängen bleibt. Als ich ihn wieder hervor hole, hat er sich eine elegante Krümmung zugelegt. Friedensreich Hundertwasser hat zwar mal gesagt, der rechte Winkel sei gottlos, aber das hier hat er wohl nicht gemeint! Mist!

Auch, dass wir die Sonne im Rücken haben und damit immer Schatten auf unsere nächsten Schritte werfen, macht den Eiertanz im Blockgelände nicht einfacher. In 2300 m Höhe verlassen wir endlich dieses ungastliche Gelände.

Auf den immer noch gerölldurchsetzten Almwiesen der Chessi machen wir Mittagspause.

Hatte ich es schon mal gesagt? Es ist ein traumhafter Tag heute. Sonne von Auf- bis Untergang. Aber die macht uns auch beide ziemlich müde. Als wir die Zollhütte im Carnäiratal erreichen, ist uns nur noch nach Pause, zumindest einer kurzen. Es sind noch 140 Höhenmeter bis zum Carnäirajoch.

Leo geht dann schon mal langsam wieder los. Ich lege mich noch kurz auf die Bank.

Nein, nein! Keine weitere Dramaturgie! Es bleibt bei kurz und ich schaffe es, nicht einzuschlafen, sondern nur kurz die Augen zu schließen, um zu entspannen und die wärmende Sonne zu genießen, bevor ich mich aufraffe und weitergehe.

Vom Joch sind es noch 50 Minuten bis zur Tübinger Hütte.

Dort unten ist sie: die Tübinger Hütte
Endlich angekommen!

Dienstag, 26.9.

Der Weg zum Plattenjoch ist sehr steil und aufgrund seiner Nordexposition hat sich der Schnee des vergangenen Wochenendes darin festgebissen. Der Hüttenwirt rät uns jedenfalls von einer Begehung ab. So beschließen wir, über das Hochmaderer Joch zur Bielerhöhe zu gehen, an der sich unsere Runde schließt. Eine Entscheidung, die wir nicht bereuen. Ein wunderschöner Höhenweg führt uns unters Joch und ein gut angelegter, nicht übermässig steiler Serpentinenweg hinauf.

Am Joch trennen wir uns. Während Leo direkt zur Bielerhöhe läuft, will ich noch auf den Hochmaderer. Der Aufstieg ist im unteren Teil sehr angenehm und gut ausgetreten, geht dann allerdings auf die Nordseite, in der ebenfalls noch Schnee vom Wochenende liegt, der hier verharscht ist. Das Gelände ist dazu auch steil, aber machbar. Am Gipfel bin ich allein und der erste Besucher seit sechs Tagen. Die Aussicht ist grandios. Die zentrale Silvretta ist vor mir ausgebreitet und der Blick schweift bis in die Bernina und die Glarner Alpen!

Meine Fußstapfen auf der verharschten Nordseite

Nach diesem Höhepunkt im doppelten Wortsinne will ich über den Abstieg zur Bielerhöhe keine weiteren Worte verlieren. Stattdessen gibt es hier ein paar Fotos vom Gipfelpanorama:

Ja und dann sind wir wieder da, wo wir gestartet sind: am Silvrettastausee an der Bielerhöhe.

Aber wie heißt es so schön:

Bergsteigen ist die Kunst, auf einem Umweg über einen Gipfel und unter Lebensgefahr zu dem Punkt zurückzukehren, an dem man sich sowieso schon befunden hat!

(leider ist mir die Quelle entfallen)
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Viktor Keimes
6 Monate zuvor

Ein wirklich grandioses Finale. Und wie immer in tollen Bildern festgehalten. Da fühlt man sich ganz nah dabei. Weiter so – aber bitte ohne weitere Malheure 😉

Christa+Reppel
Christa+Reppel
6 Monate zuvor

Toller Abschluss einer reichlich abenteuerlichen Hochgebirgswanderung! Die Fotos wecken im Betrachter Neid und Staunen: Was habt ihr in diesen Tagen alles erlebt – unglaublich und fantastisch! Jetzt heißt es: rein in den Alltag – mit all den inneren Bildern bleibt der sicher noch längere Zeit alles andere als grau…Tschüss und DANKE!

Gaby Engel
Gaby Engel
6 Monate zuvor

Während wir hier in Bonn die ganze Zeit bei Sommerwetter unterwegs waren, habe ich diesen Bergsteigerkrimi mit Spannung verfolgt und euch Beiden heftig die Daumen gedrückt! Das Wetter bei Euch war wirklich eine Herausforderung….
Wunderschöne Bilder! Und echt schön erzählt!
Liebe Grüße,
Gaby