Sonntag, 21.05.23
Bei Windstille und nahezu eben fahre ich die verbleibenden Kilometer nach Dumfries hinein. Der Stadtmitte nähere ich mich durch den Grünen Dock-Park. Von der anderen Seite des Flusses Nith grüßen verfallende viktorianische Fabrikgebäude mit morbidem Charme herüber, während die Kinder auf den Spielplätzen ihre sonntäglicher Lebenslust hinauslärmen.
In Dumfries verbrachte der schottische Dichter Robert Burns (”Auld Lang Syne“) seinen Lebensabend. Außerdem steht hier das Geburtshaus von Peter Pan. Zumindest nach Aussage von Moat Brae, dem „National Centre for children’s literature and storytelling“. An diesem Sonntag sitzen hier ein Dutzend Kinder mit ihren Eltern um eine junge Frau herum, die erst sehr engagiert ein Kinderbuch vorliest und anschließend mit den Kindern Lieder singt.
Aus Dumfries herauszukommen, ist gar nicht so einfach. Hier geht der Radweg über zum Teil dreispurige Kreisel, wobei er zwar verkehrssicher geführt wird, aber permanent die Richtung wechselt – auch die vermeintliche Gegenrichtung kann die richtige sein!
Schließlich ist auch das mal wieder geschafft und eine schmale Straße führt mich nun entlang des kleinen Flüsschens Cluden Water. Eichen, Buchen, Ginster, Ahorn und vieles mehr säumen ihn zu beiden Seiten. Die Landschaft drumherum sieht so gar nicht nach Schottland aus, sie erinnert viel mehr an deutsches Mittelgebirge, was auch daran liegt, das einzelne Hügel komplett bewaldet sind. Mein Bild Schottlands ist geprägt von den entwaldeten Höhen, deren Bäume in Jahrhunderten dem Wärmebedarf, aber auch dem Haus- und Schiffsbau geopfert wurden.
Meine Mittagspause verbringe ich in Moniaive, einem kleinen Ort, der aber der größte im weiten Umkreis ist. Hier gibt es zwei Restaurants, ein Café, einen Laden und auch einen kleinen Dorfplatz mit Bänken. Besser kann ich’s nicht antreffen! Während ich hier sitze, halten erst zwei Rennradfahrer, machen ebenfalls Pause und wir tauschen unsere LEJOG-Erfahrungen aus. Dann spricht mich eine junge Frau mit eine Geige an, die hier auf eine Hochzeitsgesellschaft wartet. Und immer wieder fungiert mein vollgepacktes Rad und das Trikot als Türöffner zur Kontaktaufnahme. Nach wie vor scheine ich der einzige Reiseradler im weiten Umkreis zu sein!
Nach einer langen Passauffahrt durch alpin anmutenden Nadelwald erfolgt eine ebenso lange Abfahrt über ausgedehnte Weideflächen. Bei Fotopausen merke ich: die midges haben die Saison eröffnet. Für die, die sie nicht kennen: das sind diese maximal 2 mm langen Mini-Mücken, die in der Regel mindestens zu Tausenden auftreten und dich nach erfolgter Kontaktaufnahme zurücklassen wie einen Streuselkuchen. Immerhin scheint es sich noch nur um die Vorhut zu handeln. Die Hauptstreitkräfte formieren sich wohl noch!
Das erste Loch (so heißen hier die Seen) taucht auf: Kendoon Loch. Weiterhin fahre ich über ganz einsame Straßen. Mehr als drei oder vier Autos die Stunde sehe ich nicht. In Carsphairn muss ich dann leider von der B729 auf die stärker befahrene A713 wechseln. Dafür komme ich zügig nach Dalmellington, wo ich am Ortsrand eine Zeltmöglichkeit an einem Bach finde.
Time: 21.5.2023, 10:45: |
Duration: 08:57:49 |
Ascent/Descent: 903 m 745 m
| Distance: 82.83 km |
Montag, 22.05.23
Der Morgen ist kalt, aber sonnig. Um 8 Uhr bin ich schon unterwegs. Es sind rund 80 km und einige Höhenmeter bis Ardrossan, wo heute Abend um 18 Uhr die letzte Fähre nach Arran ablegt. Gegenwind ist auch angesagt. Also los! Übrigens habe ich mal wieder vergessen, die Routenaufzeichnung in meinem Navi rechtzeitig einzuschalten, deswegen fehlen unten auf der Grafik 5 km und ein paar Höhenmeter. Die gesamte Route könnt ihr aber weiterhin einsehen, wenn ihr oben im Menü auf das P im Kreis klickt. Die wird nämlich unabhängig davon von meinem GPS-Tracker aufgezeichnet.
Doch zurück zum hier und jetzt: Direkt geht es auf einen Pass hoch, dann in Wellen über eine Hochfläche und danach in rasanter Abfahrt auf neu geteerter Straße wieder ins Tal. Der Tacho schnellt auf 54 kmh hoch. Wow! So lässt sich Strecke machen.
Hinter Maybole bin ich auf dem NCN 7, der hier gemeinsam mit dem Eurovelo 1 verläuft. Und gleich begrüßen Sie mich mit ein paar bissigen Steigungen! Etliche Kilometer geht das so weiter. Permanent geht es steil rauf und wieder steil runter. Und dann aufs Neue. Ich fühle mich ein bisschen verarscht. Das ist ja wie in Devon hier. Mindestens! Vielleicht sogar wie in Cornwall. So kann ich meine Beine bald wegschmeißen! Und die Fähre gibt's für mich dann auch erst Morgen. Auf jeder Anhöhe hoffe ich, dass das jetzt aber die letzte ist. Prompt kommt eine kurze Abfahrt und dann die nächste Anhöhe. Wenn ich doch nur schon an der Küste wäre, dann müsste ich mich wenigstens nur mit dem Gegenwind anlegen und nicht auch noch mit diesen Steigungen!
Und endlich dann doch: nach der wirklich letzten Anhöhe der Blick aufs Meer. Und Arran kilometerweit entfernt im Dunst. Ab hier sind es noch rund 40 Kilometer bis zum Fähranbleger. Allerdings geht es auch nach Norden. Gegen den Wind. Obwohl ich gerade - einfach, um mal aus dem Wind zu kommen - einen Kaffee getrunken habe, lege ich mich eine Viertelstunde hinter Ayr zum Dösen ins Gras und in die Sonne. Soviel Zeit muss sein! Danach geht es mir tatsächlich besser.
Auch wenn ich tage-, ja fast wochenlang keinen anderen Reiseradler auch nur gesehen habe, ist die Fähre nach Arran offenbar so eine Art Hotspot. Erst treffe ich Werner aus Nördlingen, der von Paris aus gestartet ist und zwei Monate durch England, Wales und Schottland tourt. Gemeinsam treffen wir einen Briten, der in Berlin wohnt und eine Woche in Schottland radelt. Und schließlich noch einen Engländer, von dem ich aber nichts weiter mitbekomme. So viele Radfahrer! Wahrscheinlich war's das jetzt für den Rest der Tour! 🙂
Kurz hinter Brodick, wo wir anlanden, liegt eine kleine, wunderschöne Zeltwiese, auf der wir diese Nacht bleiben.
Time: 22.5.2023, 09:38: |
Duration: 10:48:40 |
Ascent/Descent: 999 m 1264 m
| Distance: 105.12 km |
Dienstag, 23.05.23
Von Arran sagt man, es sei Schottland im Kleinformat und tatsächlich hat es alles was Schottland auch aufbietet: Küsten, Berge, Moore, eine Brauerei, eine Distillerie und natürlich Midges. Und die sind heute morgen da, nachdem sich der heftige Wind, der gestern Abend den Zeltaufbau erschwert hat, über Nacht gelegt hat. Gut, dass das "skin so soft", dass noch vom letzten, lange zurück liegenden Schottland-Urlaub übrig war, seine Wirkung noch halbwegs tut. Ich werde mir aber bald möglichst neues besorgen.
Pedale um Pedale kurbele ich nun bei wieder aufkommendem Wind "The String" hoch, die Straße, die quer über die Insel an die Westküste führt.
Mein Ziel ist Machrie Moor, eine prähistorische Kultstätte, in der über Jahrtausende Holz- und Steinkreise und megalithische Gräber entstanden. Nach den Ausgrabungen in den 1980er Jahren sind heute die Überreste von einigen Steinkreisen begehbar, wenn man eine halbe Stunde Fußweg vom Parkplatz aus auf sich nimmt. Natürlich ist es kein Stonehenge, aber die Idee, die die Menschen damals antrieb, ist dieselbe und der Einsatz, mit dem sie trotz ihrer aus heutiger Sicht beschränkten technologischen Möglichkeiten diese Kultstätten errichteten, beeindruckend. Hier kommt die schiere Vielzahl an Stätten hinzu.
Anschließend fahre ich die Westküste Arrans nach Norden hoch, permanent begleitet vom Rauschen des Meeres das links von mir gegen die Kiesel anbrandet, die es selber einmal dahin geworfen hat, dem Blick hinüber zum Mull of Kintyre (kennt jeder zumindest akustisch durch Paul McCartneys Song) und natürlich auch wieder vom Wind, der mich freudig von vorne begrüßt.
Hinter Pirnmill verschwenkt die Küste mehr nach Nordosten, was mich angenehmer Weise aus dem Wind herausbringt. Immer wieder sehe ich Austernfischer mit ihren roten Schnäbeln. Meistens höre ich zuerst ihre schrillen Rufe, bevor ich sie dann erblicke.
In Lochranza fällt (neben dem Fähranleger) bald die verfallene Burg ins Auge.
Danach, und das ist mein nächstes Ziel, die Arran Distillery. Eine Besichtigung ist zwar nicht möglich, aber im "Cask Café" kann man immerhin verschiedene "Whisky Menus" verköstigen. Ich entscheide mich für "Peat and Sweet". Klingt im Prinzip gut, tatsächlich hat ir aber keine der Whiskies gemundet. Generelle Tendenz: zuviel Alkoholschärfe, zuwenig Geschmack; besonders auffallend bei den Fassstarken, bei denen der Geschmack mit Wasserzugabe deutlich flacher wurde, während die Schärfe blieb. Auch eine alte Dame, die einen der Whiskies probiert hatte, sprach mich an und meinte, sie wäre "disappointed".
Nächste Station (zum Glück direkt auf der anderen Straßenseite): der Campingplatz mit gheißen Duschen, Aufenthaltsraum und Wifi.
Time: 23.5.2023, 09:57: |
Duration: 07:42:42 |
Ascent/Descent: 518 m 473 m
| Distance: 41.30 km |
Hallo Thomas, ich würde gern wissen, mit was für einem Zelt Sie unterwegs sind. Kann es auf dem Foto leider nicht deuten. Ich war vor drei Jahren mit Rucksack und Zelt in Schottland unterwegs und habe auch auf Arran Station gemacht. Die Gegend „oben links“ 🙂 fand ich super, habe die Inseln abgeklappert, aber das Wetter war sehr gewöhnungsbedürftig und ich war froh über mein Zelt made in GB, das kam mit den widrigen Bedingungen gut klar. An Schottland mit dem Fahrrad habe ich mich noch nicht herangetraut. Weiterhin gute Fahrt und gutes Gelingen. Ihr Blog verschönert mir den Tag… Weiterlesen »
Hallo Silke,
ich bleibe der Einfachheit halber mal gleich beim „Du“, ok? Ja, das Wetter spielt, denke ich, schon eine entscheidende Rolle. Hätte ich eine Woche am Stück gehabt, hätte ich vermutlich schon abgebrochen! Das Zelt ist ein „Copper Spur HV UL2″ von Big Agnes. Eigentlich ein 2-Personen-Zelt, aber alleine bekomme ich auch mein Gepäck locker rein und das Gestänge kommt in die Rahmentasche, mit der ich erstmals unterwegs bin. Hat sich schon bewährt“!
Dass Dir mein Blog den Tag verschönert, freut mich! 🙂
Danke und viel Spaß noch.
Hallo, Thomas, mir verschlägt es immer wieder den Atem , wenn ich deine Beschreibungen lese: welche nicht enden wollenden Herausforderungen!!!! Dies Rauf , Rauf, Rauf, dieser Gegenwind, , dann noch die ekligen Midges. Du bist inzwischen zu meinem Radtourhelden herangewachsen, denn du trägst all diese Unbilden mit Fassung und oft mit Humor. Das ist bewundernswert und erstaunlich. Unser letzter Lichtblick-Gottesdienst hatte ja zum Thema „staunen“.. Das ist meine Hauptbeschäftigung, wenn ich deinen Blog lese…Echt super und DANKE, dass wir LeserInnen teilnehmen dürfen. Trotzdem wünsche ich dir mal einen Tag lang nur Rückenwind!!!
Danke, liebe Christa. Soviel Lob verschlägt mir die Sprache, was ja schon was heißen will! 🙂 Aber Deinen Wunsch nehme ich dankend entgegen!