Elbe

 

Elbe

Da es nach unserer Zug-Anreise nach Cuxhaven erst früher Nachmittag ist, schwingen wir uns bei Sonne und einer steifen Brise nochmal auf die Sättel und fahren zur Kugelbake, der Schifffahrtsmarke auf dem nördlichsten Punkt Niedersachsens, zugleich dem äußersten Punkt der Elbemündung und damit quasi unserem „offiziellen“ Startpunkt. Von hier trennen uns gut 1.200 km von der Elbquelle, die wir in drei Wochen erreichen wollen.

53° 53‘ 36‘‘ N, 8° 49‘ 27‘‘ E – die Kugelbake von Cuxhaven

Die Baken, unbefeuerte Seezeichen, sind große, weithin sichtbare Türme aus Holz, die entlang der Küste vor gefährlichen Untiefen und Sandbänken warnen oder Hafeneinfahrten und Flussmündungen markieren.

Die 28,4 m hohe Kugelbake in Cuxhaven, das Wahrzeichen der Stadt, ist in ihrer jetzigen Form erst einige Zeit nach dem Ende des 1. Weltkriegs aufgebaut worden. Ihre Vorläufer – der erste wurde vermutlich bereits 1706 errichtet – sind immer wieder in Sturmfluten versunken oder auch kriegsbedingt abgebaut worden. Mittlerweile steht sie auf einem festen Betonunterbau.

Die Kugelbake von Cuxhaven

Von der Kugelbake radeln wir, jetzt mit Rückenwind, hinüber zur „Alten Liebe“, wo ein Semaphor immer noch den vorbeifahrenden Schiffen Windstärke und –richtung auf den Inseln Borkum und Helgoland anzeigt. Bei Kaffee bzw. Pharisäer wärmen wir uns wieder auf, nachdem einige Wolken den Wind in seinen hinterlistigen Auskühlungsbemühungen kräftig unterstützt haben. Den Abend verbringen wir dann in der gemütlichen Osteria „La Fenice“, die halb Restaurant und halb Wein- und Spezialitätenhandlung ist.

Tag1: Cuxhaven – Hollern

In der Nacht hat es geregnet. Das Unterhaltungsprogramm habe ich verschlafen: Uta erzält von intensiv und lautstark gestalteten zwischenmenschlichen Beziehungen vor dem Hotel („Ich hau‘ Dir in die Fresse!“).

Natürlich gibt es auch Schöneres zu berichten. Das Frühstücksbuffet z.B. lässt keine Wünsche offen. Nachdem wir im Fahrradladen noch eine Sitzcreme (für meinen empfindsamen Hintern) und eine Glückwunschkarte (für Annas anstehenden Geburtstag) besorgt haben, verlassen wir Cuxhaven mit viel Rückenwind. In Altenbruch erreichen wir bei der „Dicken Berta“, einem historischen Leuchtturm, in dem das Standesamt Cuxhaven heute auch Trauungen durchführt, den Elbdeich. Allerdings sieht die Elbe hier noch nicht wirklich nach Elbe aus, sondern eher nach Wattenmeer, was sie wenige Kilometer nördlich auch ist.

Wir fahren vor dem Damm über von Schafen zugesch… Wege. Die Verursacher sind nach wie vor da und ungemein nervenstark. Sie springen noch nicht mal auf, wenn wir direkt an ihnen vorbeiradeln. Dafür spritzen ihre Hinterlassenschaften bis auf Kniehöhe! Ein Glück, dass wir kurze Hosen anhaben, Beine trocknen nach dem Waschen nun mal schneller als Hosen.

Über die Otterndorfer Schleuse und Belum erreichen wir das Natureum, ein Natur-, Küsten- und Freilichtmuseum, das wir allerdings nur für einen Cappuccino und ein Stück Kuchen besuchen. Jaja, da beginnt sie wieder, unsere Tradition des ersten Cappuccinos des Tages 🙂

Das ist wohl ein Sperrwerk!

Über das Oste-Sperrwerk geht es zum Gut Hörne, von wo aus wir nicht über den Außendeich, sondern entlang der Deiche durch die kleinen Dörfer Balje und Krummendeich fahren, idyllische Weiler mit reetgedeckten Häusern, niedersächsischem Fachwerk und Baumumstandenen Teichen, wo sich Kirche und Schule nebst einigen kleineren Häusern um den Dorfplatz gruppieren. Sven Nordqvist hätte es nicht schöner zeichnen können.

In Freiburg/Elbe fahren wir zwei Kilometer in die falsche Richtung, bis wir unseren Irrtum bemerken, und dann wieder mit Rückenwind und Spitzengeschwindigkeiten von 25 km/h bis Altendorf fahren. Hier wollen wir, statt dem offiziellen Weg in einem großen Schlenker über Wischhafen und Dornbusch zu folgen, auf dem Außendeich direkt nach Krautsand fahren – das spart immerhin 9 Kilometer.

Leider beginnt die Abkürzung mit einem Sperrwerk über die Süderelbe, das seinem Namen alle Ehre macht. Es sperrt nämlich unsere Überfahrt und das noch bis 18 Uhr! So lange wollen wir nun doch nicht warten, Umweg hin oder her.

Von Krautsand geht es teils vor, teils auf und teils hinter dem Deich bis zur alten preußischen Festung Grauerort. Richtung Stade dreht der Weg nun nach Süden, dadurch kommt der Wind mehr von der Seite und demonstriert uns, warum wir bisher so zügig vorankamen. Das ist jetzt erst mal vorbei. Dafür unterhalten uns Fasanen, die wir nur deshalb bemerken, weil sie auffliegen, wenn wir schon gerade an ihnen vorbei sind. Ich habe sie immer schon für dumme Vögel gehalten. Ihr Glück, dass wir keine Jäger sind!

In Stade angekommen ist es bereits 18 Uhr, so dass wir nur kurz hineinschauen und feststellen, dass sich auch ein längerer Aufenthalt durchaus lohnen würde! Weiter geht es nach Twielenfleet und zu unserer für eine Nacht reservierten Ferienwohnung in Hollern, am Schluss mit müden Oberschenkeln und ordentlich Gegenwind!

Tag2: Hollern – Geesthacht

Nach einem improvisierten Frühstück, bestehend aus Crackern, Waffeln, Bananen und Tee satteln wir am nächsten Morgen wieder die Räder. Die Vermieterin fragt noch, wo es hingehen soll, macht aber den Eindruck, als wäre sie an einer Antwort überhaupt nicht interessiert! Was soll’s.

Wir fahren wieder mit viel Rückenwind nach Wetterndorf und wollen unsere Räder gerade von der Straße aus den Deich hochschieben, um auf den dahinter liegenden Radweg zu kommen, da ruft uns ein Mann, der gerade mit seinem Pudel aus dem Törchen seines Vorgartens tritt, zu: „Weiterfahren, weiterfahren!“. Huch, ist das Räderschieben hier verboten? Zum Glück nicht, aber 100 Meter weiter können wir bequem über eine Rampe auf den Deich. Na, das ist doch ein Tipp!

Im alten Land

Aber auch bequem ist bekanntlich relativ, denn zu bergauf gesellt sich noch unser kräftiger Rückenwind – jetzt allerdings aus entgegen gesetzter Richtung! Vor dem Deich geht es nun bis Steinkirchen, wo uns die Feuerwehr abpasst! Heute ist nämlich „Biker- und Skater-Tag“ im Alten Land und dazu ist die Straße zwischen Steinkirchen und Borstel für den Autoverkehr gesperrt. Kuzerhand werfen wir unsere Tourenplanung, die uns durch das Alte Land bis Jork führen sollte, über den Haufen und nutzen die freie Straße. In Borstel ist auch die Fahrt über die Gefängnisinsel Hahnöfersand freigegeben. Wir sind noch nie so gut bewacht Fahrrad gefahren – alle 300 m stehen Polizisten oder Zivilaufsicht, die darauf achten, dass niemand im Gebüsch verschwindet!

Über das Este-Sperrwerk bei Cranz fahren wir auf das Airbus-Gelände zu: riesige Fertigungshallen, mehrere Flugzeuge, Besucherparkplatz und die unternehmenseigene Start- und Landebahn wollen umkurvt werden, bevor wir nach Finkenwerder kommen.

Oberhalb der Süderelbe liegen hier viele alte Häuser auf oder beinahe im Deich. Alles wirkt sehr ländlich und ein wenig, als wäre die Zeit stehen geblieben – Idylle vor den Toren Hamburgs!

Die öffnen sich uns durch die Hafenfähre der Linie 62, die uns für einen Fahrschein des Hamburger Verkehrsverbunds über die Haltestellen Neumühlen / Övelgönne, Dockland (Fischereihafen) und den Altonaer Fischmarkt zu den Landungsbrücken bringt, „Hafenrundfahrt“ inklusive!

Im Hamburger Hafen

Die Elbphilharmonie

Aktionskünstler an den Landungsbrücken

Nach einem Fischbrötchen radeln wir durch die Speicherstadt mit Blick auf die immer teurer werdende Elbphilharmonie, vorbei an den Deichtorhallen, Rothenburgsort und die Billwerder Bucht aus Hamburg hinaus. Immer wieder suchen wir die Strecke, da die Beschilderung häufig nicht eindeutig ist. Kurz vor Ochsenwerder schütteln wir die Großstadt ab und fahren über den alten Bahndamm der Marschbahn kilometerweit ohne Straßenüberquerung und bequem nebeneinander her und durchqueren dabei Deutschlands größtes Blumen- und Gemüseanbaugebiet. Und nicht nur das: auch Natur macht sich wieder verschärft bemerkbar: wir sehen einen Bussard, Gänse, Frösche, Kröten, Lämmer, Fohlen und den ersten Storch!

In Geesthacht finden wir über die Tourist-Info, die tatsächlich geöffnet hat – es ist immerhin Sonntag! – ein versteckt gelegenes kleines Hotel, das sehr gemütlich eingerichtet und vom ADFC als Bed-and-Bike-Betrieb zertifiziert ist. Leider hat das zugehörige Restaurant heute geschlossen, dafür gibt es in der Nähe einen Italiener, der sich über weitere Abendgäste freut.

Tag 3: Geesthacht – Wehningen

Auf unserer ersten großen Tour vor vier Jahren hatte ich erhebliche Sitz-Probleme: erst habe ich wohl auf die Farbstoffe im Sitzpolster allergisch reagiert, dann bekam ich Druckstellen an den Sattelkanten. Davon ist dieses Jahr zum Glück überhaupt nichts zu spüren. Dafür hat es Uta erwischt. Offenbar kreuzen sich die Sattelkanten mit den Rändern des Sitzpolsters, was zu unangenehmen Druckstellen führt (ja ja, das kommt mir bekannt vor). Während sie sich damals eine „professionelle“ Radhose von Bine geliehen hatte, fährt sie dieses Jahr mit einer billigen von Aldi. Und billig ist in diesem Fall offenbar auch nicht preiswert. Jedenfalls beginnt der neue Tag mit dem Aufsuchen eines Kaufhauses mit Sportabteilung und dem Kauf einer neuen Radlerhose.

Aber schließlich verlassen wir Geesthacht doch auf dem Radweg, der mit Straße und Bahnlinie um das bisschen Platz kämpft, den die Elbe noch zwischen sich und dem hohen Ufer gelassen hat. Wir passieren das seit 2011 endgültig abgeschaltete Kernkraftwerk Krümmel und fahren auf Anraten der

Auffahrt zum Hohen Ufer

netten Dame in der Tourist Info in Tesperhude auf das hohe Elbufer (der Weg direkt an der Elbe soll sehr sandig und auch schnell überflutet sein). Und da geht’s auch gleich zur Sache. Erstmals ist der erste Gang angesagt und schon merke ich meine Knie, aber eigentlich merke ich die schon seit Cuxhaven. Da hilft nur: Zähne zusammenbeißen.

Da die Straße hier weit weg ist, haben wir bis Lauenburg nur Wald und Vogelgezwitscher um uns herum. Die Einfahrt in das Städtchen erfolgt über schmale kopfsteingepflasterte Gässchen, die auf beiden Seiten von teils Jahrhunderte alten Häusern flankiert werden. Hier würden wir gerne den ersten Cappuccino des Tages trinken. Da wir aber nichts passendes finden, fahren wir zum Kirchplatz und dann über den Hohlen Weg zum oberen Ortsteil, wo wir einen Bäcker finden und uns an der belebten Bundesstraße 209 niederlassen. Naja!

Wieder unten angekommen stellen wir fest, dass wir die Elbstraße nur etwa 100 Meter über den Kirchplatz hinaus hätten fahren müssen und wir hätten uns gar nicht entscheiden können, welche der idyllischen Cappuccino-Möglichkeiten mit Elbe-Terrasse wir eigentlich wahrnehmen wollen.

Lauenburger Impressionen

Nun geht es 8 km entlang der Landstraße, aber immerhin auf einem gut ausgebauten Radweg und mit dem Duft von frisch gemähtem Gras in der Nase nach Boizenburg. Kurz bevor der Radweg endgültig auf den Elbe-Deich führt, passieren wir den 2005 errichteten „Boizenburger Schneck“, ein Weidenbaumwerk mit einem muschelförmigen Kuppelbau und einem Turm in Form einer Wasserschnecke. Außerdem wurde hier ein „symphonischer Weidengang“ errichtet. Er besteht aus einzelnen Weidenelementen in 15 verschiedenen Formen. Jede Form symbolisiert ein Instrument. Die Breite der Instrumente steht dabei für die jeweilige Lautstärke und die Höhe für die Tonhöhe. Klar, dass wir diese Symphonie durchfahren müssen!

Bei der anschließenden Pause beobachten wir Schwalben, die sich an einem Tümpel Gefechte um den besten Matsch liefern. Direkt hinter Boizenburg sind wir auf dem Deich und erleben die Elbe wieder so wie vor vier Jahren: weite Flussauen mit Störchen und Graureihern, landeinwärts ein wogendes Grasmeer, jubilierende Lärchen, Goldammern und dazu ein Rückenwind, der unsere Reisegeschwindigkeit auf bis zu 28 km/h anschiebt. Hier zeigt sich, dass die Entscheidung, die Elbe von der Mündung her zu befahren, goldrichtig war: der Wind kommt aus NW und wir fahren nach SE!

Mahnmal der deutschen Teilung

In Neu-Bleckede erreichen wir unsere Route von damals. Wir begrüßen jeden Storch mit großem Hallo, was die aber allesamt ziemlich kalt lässt, die sind Menschen gewohnt, wir aber keine Störche! Viele Kilometer und etliche Störche weiter nehmen wir die Fähre nach Hitzacker – mein Knie lässt mir keine Ruhe und die dortige Apotheke hat bestimmt etwas für mich! Da die Elbe sichtbar mehr Wasser führt als normal, fährt nur noch eine kleine Personenfähre, die immerhin auch die Fahrräder mitnimmt, aber wegen des Wasserstandes ihre Rampe direkt auf dem Grashang ausfährt statt an der bereits überschwemmten Anlegestelle.

Nachdem das Knie gesalbt und ein Eisbecher vertilgt ist, nehmen wir die Fähre wieder zurück auf das östliche Elbeufer und radeln noch 13 km weiter bis Wehningen. Hier müssen wir dann streckenweise gegen den Wind ankämpfen, da die Elbe ihre Mäander auch Richtung Norden ausfährt. Wir übernachten in der „Alten Tischlerei“. Überraschenderweise hat kein Gasthof auf: montags Ruhetag! Unsere nette Wirtin hat aber noch TK-Pizza im Gefrier- und Bier im Kühlschrank und überlässt uns noch Tomaten, Gurken und Gewürze, aus denen wir in der Gemeinschaftsküche einen Salat zubereiten können! Super Service!

Abends konfrontiert uns die Tagesschau mit erschreckenden Hochwassermeldungen: Dresden erwartet einen Jahrhundertwasserstand! Wollten wir da nicht hin? Da kommt wohl was auf uns zu und es sieht so aus, als ob einer von uns ausweichen müsste!

Tag 4: Wehningen – Cumlosen

Von Wehningen fahren wir zunächst auf sandigen Wegen durch Wald nach Rüterberg, begleitet von Vogelgezwitscher und Mücken. Die Dorfbewohner haben einen herrlichen Ausblick auf die Elbe und auch bei Hochwasser keine nassen Füße!

Rüterberg war von 1967 bis 1989 gleich von zwei Grenzzäunen umgeben: einem inneren zur DDR hin und einem äußeren zur Elbe bzw. der BRD hin. Als Protest gegen die permanente Isolierung wurde von den Bewohnern am 8. November 1989 die Dorfrepublik Rüterberg ausgerufen. Einen Tag später fiel die Berliner Mauer und seit dem 10. November 1989 ist Rüterberg wieder frei zugänglich.

Weiter geht’s nach Dömitz, wo wir vor vier Jahren nach Ludwigslust abgebogen waren, um zur Mecklenburger Seenplatte zu gelangen. Dieses Jahr wollen wir uns die aus dem 16. Jahrhundert stammende Rennaissance-Festung anschauen. Sie ist in Form eines Fünfecks angelegt und mit Bastionen und Kasemattengewölben versehen. Am eindrucksvollsten sieht das Gelände wohl aus der Luft aus, wie ein Foto des Museums zeigt. Wir müssen uns mit einem Besuch der Ausstellungsräume und der Außenanlagen begnügen.

Während wir weiter auf dem Deich radeln, begleitet von der vollen Elbe rechts und weiten Wiesen mit Glockenblumen, Margeriten, Hahnenfuß und Klee links, dreht der Wind auf NE bis E, was unsere gestrige Reisegeschwindigkeit zeitweise halbiert. Wir statten der heute dem NaBu gehörenden Burg Lenzen einen Besuch ab und besuchen die sehenswerte Ausstellung zur Geschichte der Prignitz, der im Nordwesten Brandenburgs gelegenen und von Elbe, Havel, Elde und Dossel umgrenzten Landschaft.

Lenzen

Erschöpft vom Gegenwind finden wir in Cumlosen ein Privatzimmer und einen Dorfgasthof, bei dem wir konstatieren: selten für so wenige Geld so satt geworden! Der Tag endet bei Windstille mit einem traumhaften Sonnenuntergang über überfluteten Auen!

Tag 5: Cumlosen – Garz / Havel

In den Frühnachrichten heißt es, die Hochwasserlage im Süden entspannt sich, dafür steht dem Osten das Schlimmste wohl noch bevor! Unsere Vermieter und die Wirtin von gestern Abend sind recht entspannt und vertrauen auf die nach 2002 erhöhten Deiche. Wir rufen die Fähre in Räbel an, mit der wir bei Havelberg auf die andere Elbeseite übersetzen wollen und erfahren, dass ab heute alle Fährverbindungen eingestellt sind. Die Alternativroute auf der rechten Elbeseite ist nicht so prickelnd: kilometerweit Landstraße, wenn auch immerhin mit separatem Radweg, bis wir bei Tangermünde über eine Brücke auf die andere und für den weiteren Verlauf „richtige“ Seite kämen.

Wir fahren erst einmal nach Wittenberge und werden von der Freiwilligen Feuerwehr begrüßt, die dabei ist, Spundwände aufzubauen, um die Innenstadt zu schützen. In der Tourist-Info erfahren wir, dass der Elbe-Radweg heute noch bis Havelberg befahrbar ist und morgen komplett dicht gemacht wird.

Aus!

Auf der anderen Seite sieht es wohl noch schlimmer aus: da stehen jetzt schon viele Straßen und Wege unter Wasser! Wir lassen uns noch etwas Kartenmaterial geben und grübeln bei einem Cappuccino (wie sonst?) über unsere Möglichkeiten. Viele sind es nicht. Wir entscheiden, bis Havelberg zu fahren und dort auf den Havel-Radweg nach Berlin auszuweichen. Spätestens dort werden wir dann sehen, ob wir noch eine Chance haben, per Bahn oder Flugzeug zur Quelle nach Tschechien zu gelangen und dem Hochwasser quasi hinterher zu fahren. Falls nicht, nehmen wir halt den Oder-Neisse-Radweg und landen mal wieder (wie vor vier Jahren schon) an der Ostsee.

Die Enttäuschung lässt den Cappuccino schaler schmecken, ein paar Tränen verdünnen ihn zusätzlich. Monatelang geplant, viel gelesen, alles Nötige vorbereitet und dann das: aus, vorbei, durch Umstände, die einfach nicht planbar sind. Auf einmal ist das Ziel weg. Keine Quelle am Ende eines über 1200 km langen Weges von der Ostsee entlang des Mündungsgebietes, durch Auen, Elbsandstein, Böhmen und Mähren bis ins Riesengebirge, kein Magdeburg, kein „Elbflorenz“ Dresden. Ok, wir jammern auf hohem Niveau und wollen bestimmt nicht mit denen tauschen, für die das Hochwasser existenzielle Aus-irkungen hat. Aber im Moment fühlt es sich einfach so an, als wäre der Urlaub schon vorbei. Naja, immerhin haben wir jetzt statt Ungewissheit wieder einen Plan.

Auf dem Gelände der ehemaligen Singer-Nähmaschinenwerke werfen wir noch einen Blick auf die höchste freistehende Turmuhr auf dem europäischen Festland und gleichzeitig Wahrzeichen Wittenberges. Die kann auch besichtigt werden, aber da es gleichzeitig heißt, der Deich ist vielleicht nur noch zwei Stunden „auf“, fahren wir lieber zügig weiter.

Auf einem Gelände am Ortsrand helfen ganze Schulklassen beim Befüllen von Sandsäcken, die anschließend auf Paletten gestapelt werden, die die Feuerwehr dann an diverse Einsatzorte verteilt. Laufend kommen uns Lastzüge mit Sandnachschub entgegen. Über mehrere Kilometer wird hinter Wittenberge noch hektisch und mit schwerem Gerät der Deich erhöht – hier ist bereits eine Umfahrung für uns Radler ausgeschildert. Und über allem steht die Sonne, als wäre alles in schönster Ordnung, als wäre einfach nur ein herrlicher Frühsommertag!

Wir legen einen Stopp im NaBu-Besucherzentrum in Rühstädt ein, dem europäischen Storchendorf von 1996. Hier gibt es in manchen Jahren bis zu 40 brütende Storchenpaare. Jeder Horst ist registriert und in jedem Jahr werden Ankunft und Abflug sowie die Anzahl der Jungen auf einer Informationstafel unter-halb der Nester notiert.

Kurz darauf passieren wir das Havel-Wehr und fahren auf dem Mitteldeich zwischen Havel und Elbe bis Havelberg. Und auch das Naturauge bekommt wieder etwas zu sehen: Hornissen und einen Neuntöter!

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