Im Pfaffenwinkel

Samstag, 1. Juli 2023

Nach einer regenreichen Nacht, die ein Zelt das Leben gekostet hat und ein zweites die Trockenheit, verlassen wir den Campingplatz in Brunnen. Auch unser Zelt ist vor Nässe schwerer als normal, ist aber nur äußerlich.

Richtung Bannwaldsee, ein letzter Blick auf Schloss Neuschwanstein

Wir radeln am Bannwaldsee entlang, von dem aber vor lauter Bäumen kaum etwas zu sehen ist. Über eine wieder wunderbar ruhig gelegte Route erreichen wir am späten Vormittag die „Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“, besser bekannt als Wieskirche.

Die Wieskirche

Die Kirche ist voll. Voller junger Menschen. Danksagungen und immer wieder tosender Applaus dringen nach draußen. Kirchentag-Atmosphäre. Offenbar wird hier der Abschluss einer Wallfahrt gefeiert. Wallfahrten werden hier seit 1739 durchgeführt, noch bevor die Kirche existierte. Anlass war eine Statue des gegeißelten Heilands, die drei Jahre lang in Karfreitags-Prozessionen mitgetragen wurde, dann in Privatbesitz geriet, wo sie auf einmal Tränen produzierte: die Wallfahrt in die Wies war geboren. Nur wenige Jahre reichte die zunächst gebaute kleine Kapelle, dann wurde von 1745 bis 1754 die heutige Kirche im Rokoko-Stil erbaut. Das Kloster Steingaden übernahm erst die Bauleitung und dann sich selbst, finanziell jedenfalls: die Baukosten stiegen auf das 4,6fache der ursprünglich veranschlagten Summe (jaja, das ging auch schon vor Elbphilharmonie, WCCB oder BER!). Heute ist das längst egal. 1983 wurde die Wieskirche als „Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft“ und „Zeugnis kultureller Tradition“ von der UNESCO unter Weltkulturerbe-Status gestellt und wird jährlich von mehr als einer Million Menschen besucht.

Abschluss einer Wallfahrt

Zwei weitere kommen dazu, nachdem wir bei einem Kaffee das Ende der Abschlusskundgebung abgewartet haben und auch wieder „normale“ Besucher in die Kirche passen. Und die ist – ich kann es nicht anders sagen – einfach schön. Trotz Rokoko! Weil sie bei allem Schmuck hell und freundlich ist. Weil sie nicht überladen wirkt. Weil sie sich auch freie Wandflächen gönnt, die dem Auge einen Moment der Ruhe ermöglichen. Und weil sie keine Buntglasgenster hat, die das Weiß des opulenten Stucks und die Farben der monumentalen Deckenfresken verfälschen würden. Faszinierend!

Heute radeln wir nicht mehr weit. In Unterammergau haben unsere Nachbarn eine Ferienwohnung, für die sie uns freundlicherweise die Schlüssel überlassen haben! Heute Abend gibt es einen richtigen Herd zum Kochen! Und Wein zum Essen. Ach ja, ein richtiges Bett auch noch! Es muss ja nicht immer Camping sein!

Sonntag, 2. Juli 20723

Es regnet. Wir drehen uns im Bett nochmal um. Eine Stunde später ist der Regen durchgezogen und nach einen gemütlichen Frühstück schwingen wir uns auf die Räder und fahren nur mit einem kleinen Rucksack und ohne Gepäcktaschen zum Kloster nach Ettal. Wie gesagt: Pfaffenwinkel. Das ist übrigens nicht despektierlich gemeint, sondern die offizielle Bezeichnung einer landespolitisch geförderten Tourismusregion Südbayerns.

Kloster Ettal

Wieder ein Wallfahrtsort. Wieder Rokoko (die ursprünglich gotische Anlage ist 1744 durch einen Brand zerstört worden). Wieder Stuck und Fresken, aber alles in allem kann diese Kirche mit der in der Wies nicht mithalten. Zwar lässt die kreisrunde Kuppel auch hier viel Licht in das Gebäude, aber irgendwie gibt es von allem ein bisschen zu viel. Zu viele Altäre, zu viele Gemälde, zu viel Schmuck selbst an der Orgel und für Uta auch zu viel Weihrauch, dessen Rauchschwaden noch von der gerade zu Ende gegangenen Messe in der Luft hängen und nur in mir Erinnerungen an meine katholisch sozialisierte Kindheit hervorruft.

Einen Kaffee und ein Stück Kuchen später sitzen wir wieder auf den Rädern, zurück nach Oberammergau, von wo wir auf den Kofel steigen, einen markanten Felsturm, den wir auch vom Fenster „unserer“ Wohnung in Unterammergau aus sehen können.

Der Kofel

Der Aufstieg beginnt nur kurz gemütlich und wird dann schnell steil. Beinahe atemberaubend, wie in dieses steile, felszersetzte Gelände ein Weg gelegt wurde. In engen Kehren, teilweise durch Ketten oder Drahtseile versichert gelangen wie schließlich auf den Gipfel, den wir an diesem Sonntag natürlich nicht für uns alleine haben. Eine schöne Aussicht über Unter- und Oberammergau und hinein in die Ammergauer Alpen belohnt die Anstrengung.

Und von irgendwo her drängt sich da noch dieser uralte Schlagertext ins Großhirn:

Ob er aber über Oberammergau
Oder aber über Unterammergau
Oder aber überhaupt nit kommt,
Des is net gwiss“

Kommentare abonnieren?
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen