Wetter – Bonn

Der IC nach Hamburg ist ziemlich leer, als ich um 7:46 in Bonn einsteige, um zu dem Punkt zurückzufahren, an dem ich vor rund 6 Wochen meine Rückfahrt von Hannover nach Bonn schneebedingt abbrechen musste. Um halb zehn bin ich wieder am Bahnhof Wetter (Ruhr).

Viel Platz im IC

Ich habe mich entschiede, die letzten anderthalb Etappen am Stück zu fahren. Das Wetter passt und so kann ich mit leichtem Gepäck (im Wesentlichen eine Jacke, Flickzeug und etwas zu Trinken) radeln.

Kurz über die Ruhr bin ich auch bald wieder auf dem Ruhrradweg und erkenne die Absperrungen wieder, in die ich damals beinahe hinein gerutscht wäre. Dank des Tipps von Subira und Bernd biege ich aber schon bald links ab, oder besser gesagt: will ich schon bald links abbiegen. Da ist aber eine Schranke und die ist geschlossen. Außerdem steht da ein Schild: Privatstraße. Immerhin gibt es auch einen gelben Kasten und tatsächlich befindet sich darin ein Knopf, über den man das Öffnen der Schranke anfordern kann.

Nachdem dieses Hindernis bewältigt wurde, fahre ich nun teils recht steil nach Voßhöven hoch und kann 5 km vom Ruhrtal entfernt auf die „Alte Kohlenbahn“ abbiegen. Diese zum Radweg umgestaltete ehemalige Bahntrasse führt mich bis fast nach Hatzfeld, vorbei an auf kurzen Gleisstücken ausgestellten alten Kohlenbahnen (!) und Schautafeln, die die geologischen Gegebenheiten und deren historische Nutzung erläutern.

eine Lore der alten Kohlenbahn

Nach 15 wunderbar zu fahrenden Radkilometern muss ich leider auf immerhin wenig befahrene Landstraßen abbiegen, wenn auch nicht für lange, da ich bei Wuppertal ein Stück auf dem Panorama-Radweg fahre, wieder so eine ehemalige Bahntrasse. Hier sind teilweise sogar die Bahnhöfe noch erhalten, inkl. Bahnsteig und Gleisschildern!

Viadukt am Panorama-Radweg in Wuppertal

Achtung an Gleis 2: ein Fahrradfahrer fährt ein!

Ab Wuppertal zeigt sich erst ab und an, dann aber immer durchgehender die Sonne, während ich ein Stück die Wupper entlang fahre, nun auf separatem Radweg entlang der Landstraße.

In Kemna passiere ich das Mahnmal eines frühen Nazi-KZs: Hier wurden von Juli 1933 bis Januar 1934 geschätzt 4.500 politische Häftlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen zusammengepfercht. Die Häftlinge – Mitglieder von SPD und KPD – kamen hauptsächlich aus dem Bergischen Land, die SA-Aufseher aus dem Raum Wuppertal. Häftlinge und Aufseher kannten sich vielfach persönlich, Folter und willkürliche Gewalt waren an der Tagesordnung.

von Schülern gestaltetes Mahnmal des Konzentrationslagers Kemna

Einen Kilometer weiter passiere ich die Erfurt-Werke. Jetzt weiß ich endlich, wo die Raufaser-Tapete herkommt: aus Wuppertal und das schon seit 1827!

Quelle der Raufasertapete: die Erfurt-Werke bei Wuppertal

Kurz darauf wird es mal wieder steil, denn das nächste Ziel ist Remscheid-Lennep und das liegt auf der Höhe. Immerhin stoße ich auch wieder auf den Panorama-Radweg, den ich in Wuppertal „verloren“ habe – da habe ich die Tour wohl nicht optimal geplant. Lennep zeigt sich freundlich: die Sonne lacht mittlerweile aus einem wolkenlosen Himmel und Unmengen von Menschen bevölkern die vielen Terrassen der ebenso vielen Restaurants im historischen, von bergischem Schiefer geprägten Stadtkern.

Remscheid-Lennep

Nach einer Pizza, einem alkoholfreien Weizen und einem Espresso fahre ich weiter auf dem Panorama-Radweg, bis ich ihn (leider) wieder verlassen muss. Denn das nächste Ziel ist Altenberg – Kindheitserinnerungen auffrischen. Vom Ausflug mit Mutter und Oma zum Altenberger Dom und in den Märchenwald habe ich vor allem die Wasserspiele im Märchenwald-Restaurant in Erinnerung. Und die gibt es immer noch! Ich bekomme eine Privatvorführung, da die vielen Sonntagsausflügler bei dem schönen Wetter lieber draußen bleiben. Zu Strauss‘ „An der schönen blauen Donau“ bildet das Wasser im Takt der Musik bunt angestrahlte Prinzessinnenkrönchen und feuerwerksartige Fontänen. Während die Musik vom Band kommt und die farbigen (mittlerweile LED-) Lichter automatisch gesteuert werden, wird die Wasser-Choreographie immer noch von Hand gesteuert!

Der Altenberger Dom, der konfessionsübergreifend von Katholiken und Protestanten genutzt wird.

Zum Märchenwald und den Wasserspielen

Die herrlich altmodischen Wasserspiele im Märchenwald-Restaurant

Mit einem Grinsen im Gesicht verlasse ich Altenberg. Nur die Harleys und – schlimmer noch – die aufgemotzten Quads mit ihren Lärm-Emissionen weit jenseits des Presslufthammers trüben das sonntägliche und sonnige Gesamtbild. Wieder mal geht es bergauf, nun Richtung Bergisch-Gladbach, Bensberg und Rösrath. Und so langsam habe ich keinen Bock mehr auf Steigungen – der Akku leert sich. Also fahre ich an die Tankstelle. Nach einem halben Liter Orangina geht es wieder besser.

In Rösrath weiche ich von meinem Track ab, um bereits früher in die Wahner Heide zu gelangen. Hier ist es doch wesentlich ruhiger als an der Landstraße, auch wenn ab und zu ein Flugzeug am nicht weit entfernten Köln/Bonner Flughafen startet oder landet. Viel Heide sehe ich nicht, dafür bin ich wohl zu sehr im Randbereich, wo eher moorige Birkenwäldchen das Bild dominieren.

Birkenwäldchen im Moorbereich der Wahner Heide

Hinter Altenrath geht meine Route über in eine Betonplattenstraße in DDR-Qualität. Das Ganze ist militärisches Sperrgebiet und wurde lange von der Belgischen Armee als Übungsgelände genutzt. Zum Glück gibt es neben der Straße noch einen teils geschotterten Trampelpfad; der fährt sich doch weitaus angenehmer.

Landwirtschaft 2.0: hier wird Sonne angebaut (Troisdorf)

Über Troisdorf komme ich an die Sieg – Siebengebirge und der Bonner Post-Tower grüßen bereits herüber. Die Sonne nähert sich dem Horizont und mit der Abkühlung werden die Lebensgeister reaktiviert. In Bonn werfe ich noch einen Blick in die Heerstraße, um zu sehen, ob die Kirschblüte schon im Gange ist. Aber trotz bereits herum flanierender Asiaten braucht sie wohl noch eine Woche.

Die Holzkapelle der rumänisch-orthodoxen Gemeinde entsteht in Bonn am Rheinufer – noch ist sie nicht fertig.

Dann der letzte Berg und ich bin zu Hause. Und damit ist auch mein letzter Arbeitsweg beendet!

130 km / 1.583 Hm

Verbrauch: ca. 3,5 l / 130 km (hauptsächlich Wasser, aber auch alkoholfreies Bier, Orangina, Tee und Kaffee)

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Andreas Keller
Andreas Keller
6 Jahre zuvor

Apropos Kirschblüte, das wäre dann der optimale Zeitpunkt, um Stade und Umgebung (York, Mittelnkirchen usw.) zu besuchen, meistens so um den 20.4., der gleiche Zug, nur sitzen bleiben bis Hamburg…